Blutkirsche
dir los ist, du frigides Weibsstück. Kein Wunder, dass dein Mann abgehauen ist.“
|172| Kohl ging langsam auf Wilma zu, hob die Hand, so als ob er zuschlagen wollte, aber dann schupste er sie zur Seite und trat gemächlichen Schrittes aus dem Gartenhaus.
Wilma atmete tief durch, schloss für einige Sekunden die Augen. Sie hatte nicht bemerkt, dass das Mädchen seinem Stiefvater folgte. Erst als Wilma ein unmenschliches Brüllen hörte, und diesem nachging, sah sie Natalie, die hinter Kohl am Kompostplatz stand und mit voller Wucht eine Hacke auf ihn einschlug. Harry Kohl drehte sich noch während der Attacke um. Er tastete mit der Hand die Wunde ab. In seinem Kopf war ein Spalt, eine schmale Blutspur floss über das Gesicht, aber er war noch nicht tot. Er starrte das Mädchen ungläubig an. Dann sah er zu Wilma und stieß mühsam hervor: „Deine Schuld!“
In ungestilltem Hass und voller Wut hatte Wilma die Axt, die im Holzklotz steckte, aufgehoben und ebenfalls zugeschlagen. Natalie stieß einen hohen spitzen Schrei aus. Blutfontänen spritzten auf die Kleidung der beiden Frauen, und auch auf Natalies weißen KangaRoos waren rote Tropfen zu sehen. Ächzend torkelte Harry Kohl, er stürzte zu Boden, röchelte und mit einem Seufzer starb er auf dem Pferdemist. Wilma ließ die Axt zu Boden fallen.
Es war eine Minute lang still. Wilmas Gedanken rasten. Wie hatte sie sich nur hinreißen lassen? Aber was nun?
Wenn jemand den Toten fand, und die Polizei den Mord untersuchte, würde sie zwangsläufig auch bei ihr vorbeischauen, und wenn die Polizisten Nachforschungen anstellten, würden sie die Ungereimtheiten im Fall des verschollenen Ricardo entdecken. Sie musste sich und damit auch Natalie schützen.
Der Kerl musste verschwinden, genauso wie Ricardo.
Natalie stand regungslos wie eine Schaufensterpuppe. Wilma rüttelte sie an den Schultern.
„Hier können wir ihn nicht lassen, keine Leiche, kein Verbrechen! Hol die Schubkarre, wir laden ihn auf, legen eine Plane drüber und schieben die Karre in meinen Garten. Von dort aus kann ich ihn im Wald begraben.“ Wilma überlegte noch einmal. Ja, der Wald als letzte Ruhestätte eignete sich besser als ihre und Kohls Parzelle. Günstig, dass es bei ihr ein zweites Tor gab, das von diesem Garten aus in den Wald führte. Zwar benutzte sie ihres fast nie, weil es klemmte und sie jedes Mal mit Gewalt dagegenstemmen musste, um es zu öffnen, aber heute musste es sein. Natürlich konnte sie den Toten nicht direkt vor ihren Gartenzaun |173| deponieren, sondern vor einem brachliegenden Gütle, unter den Laubbäumen, überlegte Wilma.
Das schmale Waldstück gehörte nicht dem Verein, sondern zu den Grundstücken auf der anderen Seite der Grünewaldstraße, sie gingen über die Straße hinweg bis zu den Zäunen der Gartenanlage. Und falls man die Leiche entdeckte, würde nicht sofort der Verdacht auf sie fallen. Wenn sie Glück hatte, fand man sie nie.
„Wir müssen die Axt und die Forke loswerden. Ich verstecke sie unter meiner Trockenmauer, die muss neu aufgerichtet werden. Eigentlich wollte ich die Steine für den nächsten Pächter ...“
Wilma beendete den Satz nicht. Sie hörte ein metallisches Geräusch. Ein Quietschen, wie das von einem ungeölten Gartentor, dann Schritte. Warnend legte sie ihren Zeigefinger an die Lippen. Vorsichtig lugte sie zwischen der Knöterichhecke in den Nachbargarten. Ja, Mike Fink betrat sein Stückle. Jetzt war keine Zeit mehr, Harry Kohl verschwinden zu lassen. Es galt nun Schadensbegrenzung. Wohin mit der Axt? Wilma schaute sich um. Beim Mirabellenbaum, direkt an der Hütte unter der Regenrinne, stand ein randvoll mit Wasser gefülltes Fass ohne Deckel. Es schien ihr die vorerst beste Lösung. Sie ließ die Axt sanft ins Wasser plumpsen, wusch sich rasch die Hände und trocknete sie an ihrer Jogginghose ab. Aber wohin mit der Hacke? Die passte auf keinen Fall in die Regentonne. Wilma lehnte sie an die Knöterichhecke, aber der Stiel rutschte auf die andere Seite durch, die Bambusmatte bedeckte nicht die ganze Fläche. Wilma hatte Angst, nach dem Gartengerät zu greifen und es wieder hervorzuziehen. Vielleicht sah Fink in diesem Augenblick zu ihr her.
Ohne ein Wort zu sprechen, fasste sie Natalie an der Hand, zog das Mädchen mit sich. Vor dem Laubeneingang flüsterte Wilma auf Natalie ein. „Hör zu, du musst ein anderes T-Shirt anziehen. Eine andere Hose wäre auch nicht schlecht. Hast du etwas zum Wechseln im Häusle
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