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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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richtig betrachtete. Es war eher so, als ob er endlich ein Feld pflügen durfte, das er immer schon hatte beackern wollen und zu dem er endlich die lang ersehnte Chance bekam.
    »Wer bist du?«, fragte sie.
    Er sah kurz von seinen Klingen auf. »Du kennst mich.«
    »Ich kenne einen großen, sanften Nordmann, der noch nicht einmal ein Maultier die Peitsche schmecken lassen wollte. Ich kenne einen Bettler, der eines Abends auf unserem Hof erschien, um für ein paar Kanten Brot zu arbeiten. Ich kenne einen Mann, der meinen Bruder auf dem Arm hielt und ihm vorsang, wenn er Fieber hatte. Dieser Mann bist du nicht.«
    »Doch, der bin ich.« Er sprang über die Lücke zwischen den Wagen zu ihr, nahm sie fest in den Arm und drückte sie, und sie hörte, wie er ihr ins Ohr flüsterte: »Aber das ist nicht alles. Komm mir nicht in die Quere, Scheu.« Dann sprang er hinunter. »Sorg dafür, dass sie in Sicherheit ist!«, rief er Süß zu.
    »Soll das ein Witz sein?« Der alte Pfadfinder hob seinen Bogen und visierte ein Ziel an. »Ich hoffe, dass sie mir das Leben rettet!«
    In diesem Augenblick stieß Weinender Fels einen hellen Ruf aus und zeigte nach Süden, und dort strömten sie über die Kuppe, als seien sie aus einem Albtraum entsprungen, Überbleibsel eines lang vergangenen, unzivilisierten Zeitalters, mit Hunderten von zackigen, gestohlenen Klingen und schartigen Flintsteinäxten und spitzen, schimmernden Pfeilen. Plötzlich standen die Massaker-Geschichten, über die sie ihr Leben lang gelacht hatten, wieder auf und nahmen Scheu den Atem.
    »Wir werden alle unsere Ohren verlieren!«, wimmerte jemand.
    »Aber offenbar benutzt ihr sie ohnehin nicht!« Süß setzte den Flachbogen mit einem grimmigen Lächeln wieder ab. »Sieht mir nach ein paar Dutzend Kriegern aus.«
    Scheu kniete sich hin und versuchte, ihre Gegner zu zählen, aber ein paar Pferde waren seitlich mit Pferdebildern bemalt, und ein paar waren reiterlos, wieder andere trugen zwei Krieger oder aber nur vogelscheuchenähnliche Figuren, die wie Menschen aussehen sollten, und einige hielten große Stücke flatternder Leinwand mithilfe von Stangen hoch, die dann wie Riesen aussehen sollten oder wie Ertrunkene, und all das verschwamm und verwischte vor ihren Augen, sinnlos und tödlich und uneinschätzbar wie eine Seuche.
    Sie glaubte, Tempel beten zu hören, und wünschte sich, sie wüsste, wie das ging.
    »Vorsicht!«, brüllte Savian. »Vorsicht!« Scheu wusste nicht, was er damit meinte. Ein Geist trug eine Kapuze, die mit juwelenartig funkelnden Glassplittern besetzt war, und er hatte den Mund weit aufgerissen in speichelfeuchtem Schrei. »Wer kämpft, wird leben! Wer flieht, der stirbt!« Sie hatte immer schon eine Neigung zur Flucht gespürt und keinen Mut zum Kämpfen, und wenn es ums Fliehen ging, dann sagte ihr der ganze Körper, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dazu gekommen war. »Hinter ihren bemalten Gesichtern sind sie auch nur Menschen!« Ein Geist hatte sich in den Steigbügeln erhoben und schüttelte eine befiederte Lanze, und er oder sie war nackt, abgesehen von der wilden Bemalung und einer heftig herumschlenkernden Halskette aus Ohren.
    »Steht beisammen oder sterbt allein!«, brüllte Savian, und eine der Huren, deren Namen Scheu vergessen hatte, stand da mit einem Bogen in der Hand, das blonde Haar vom Wind zerzaust. Sie nickte Scheu zu, und Scheu nickte zurück. Goldi, so hieß sie. Beisammen stehen. Deswegen reisten sie ja in einem Trupp, richtig? Richtig.
    Die erste Bogensehne surrte, panisch und sinnlos, und der Pfeil flog viel zu kurz. Dann surrten weitere, und Scheu schoss selbst, machte sich aber kaum die Mühe, sich für ein Ziel zu entscheiden, weil es so viele gab. Pfeile trudelten schimmernd zu Boden und fielen ins wogende Gras zwischen den wogenden Leibern, und hier und da stürzte eine Gestalt aus dem Sattel oder ein Pferd brach aus. Der Geist mit der Kapuze sackte zusammen, mit Savians Bolzen in der bemalten Brust, aber der Rest schwärmte zu der mickrigen Wagenburg und umringte sie, umkreiste sie galoppierend, aufbäumend und Staub aufwirbelnd, bis die Krieger und ihre bemalten Pferde tatsächlich zu Phantomen wurden, ihre Schreie und ihr Kreischen und das Brüllen der Tiere körperlos und trügerisch wie die Stimmen im Kopf eines Verrückten.
    Um Scheu herum fielen Pfeile, es zischte und klapperte, als einer von einer Kiste abprallte, ein anderer bohrte sich in einen Sack neben ihr, ein dritter schlug zitternd in den

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