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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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welchen hatte.
    »Scheiße, ist das kalt.«
    »Das ist noch gar nichts«, knurrte Süß. »Bin mal oben in den Bergen bei Hochtürmen in Verwehungen geraten und saß zwei Monate fest. Das war so kalt, da ist der Schnaps in den Flaschen gefroren. Wir mussten das Glas drum herum abklopfen und den Alkohol lutschen.«
    »Schhhh«, machte Weinender Fels, und ein ganz leichter Rauchkringel stieg aus ihren bläulichen Lippen. Bis dahin hatte Scheu sich schon gefragt, ob die Geisterfrau vielleicht schon vor Stunden erfroren war, die Pfeife fest zwischen den Zähnen. Den ganzen Vormittag hatte sie kaum geblinzelt, sondern nur durch die Äste und Zweige gestarrt, die sie in der letzten Nacht zur Deckung aufgestapelt hatten, den Hang hinunter, wo Leuchtberg lag.
    Nicht dass es dort viel zu sehen gegeben hätte. Die Ansiedlung wirkte wie ausgestorben. Auf der einzigen Straße war der Schnee gegen die Haustüren getrieben worden, lag dicht auf den Dächern, die mit schimmernden Eiszapfen besetzt waren, und wirkte völlig unberührt, abgesehen von den Wanderspuren eines neugierigen Wolfs. Kein Rauch aus den Kaminen, kein Licht hinter den gefrorenen Leinwänden der halb verschütteten Zelte. Die alten Hügelgräber hatten sich in weiße Erhebungen verwandelt. Der halb verfallene Turm, auf dem früher die Signalfeuer entzündet worden waren, nach denen der Ort benannt worden war, hielt dem Schnee noch stand. Abgesehen von dem Wind, der traurig in den Krüppelkiefern rauschte und irgendwo einen Fensterladen immer wieder an eine Wand schlug, war es so still wie Juvens’ Grab.
    Herumsitzen und warten war noch nie etwas für Scheu gewesen, das war nichts Neues, aber davon abgesehen erinnerte sie das Ausschauhalten hier draußen im Gebüsch viel zu sehr an ihre Zeit als Geächtete. Auf dem Bauch im Staub liegend, während Jeg direkt neben ihrem Ohr kaute und kaute und spuckte und kaute und Neary eine unmenschliche Menge an Salzwasser ausschwitzte und sie auf unglückliche Reisende warteten, die auf der Straße unter ihnen vorüberkommen mochten. Sie hatte so getan, als sei sie wirklich Rauch, die Geächtete, halb verrückt vor Grausamkeit, dabei fühlte sie sich vielmehr wie ein kleines Mädchen, das furchtbar viel Pech gehabt hatte und halb verrückt war vor Angst. Angst vor den Menschen, die sie jagten, vor denen, mit denen sie gemeinsame Sache machte, und vor allem vor sich selbst. Weil sie keinen Schimmer hatte, was sie als Nächstes tun würde. Als ob irgendein hassenswerter Irrer jeden Augenblick die Herrschaft über ihre Hände und ihren Mund ergreifen und sie wie eine Puppe agieren lassen konnte. Bei dem Gedanken daran hätte sie sich am liebsten aus ihrer eigenen wunden Haut herausgewunden.
    »Lieg still«, flüsterte Lamm, bewegungslos wie ein gefällter Baum.
    »Wieso? Es ist doch niemand hier, dieses verdammte Kaff ist so tot wie …«
    Weinender Fels hob einen knorrigen Finger, hielt ihn Scheu vors Gesicht und neigte ihn dann langsam, bis er zum Waldrand auf der anderen Seite der Ansiedlung deutete.
    »Siehst du diese beiden hohen Kiefern?«, flüsterte Süß. »Und die drei Felsen, die wie Finger dazwischen aufragen? Da ist das Versteck.«
    Scheu starrte auf das farblose Gewirr aus Steinen und Schnee und Baumstämmen, bis ihr die Augen wehtaten. Dann erhaschte sie eine ganz winzige Bewegung.
    »Da ist einer von ihnen?«, hauchte sie.
    Weinender Fels hielt zwei Finger in die Höhe.
    »Die sind immer zu zweit«, raunte Süß.
    »Oh, sie ist gut«, flüsterte Scheu, die sich in dieser Gesellschaft wie eine echte Anfängerin vorkam.
    »Die Beste.«
    »Wie werden wir die los?«
    »Das werden sie selbst erledigen. Solange dieser besoffene Irre Cosca seinen Teil beiträgt, wie besprochen.«
    »Darauf kann man sich leider nicht verlassen«, brummte Scheu. Obwohl Cosca so viel von Eile gesprochen hatte, war seine Kompanie noch ganze zwei Wochen in Knick herumgeschwirrt wie Fliegen um einen Scheißhaufen, um die Vorräte aufzufrischen, was im Klartext hieß, dass die Söldner für jede Menge Widerwärtigkeiten und Aufruhr sorgten und außerdem in stetiger Zahl desertierten. Noch länger hatte es gedauert, die paar Dutzend Meilen Hochplateau zwischen Knick und Leuchtberg zu überwinden, während das Wetter ständig kälter wurde. Der Kompanie folgte ein guter Teil der ehrgeizigeren Huren, Spieler und Händler aus Knick, die darauf hofften, den Söldnern jenes Geld aus der Tasche zu ziehen, das diese aus irgendeinem Grund noch nicht

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