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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Instinkte ihr rieten. Allerdings hatte sie das in den meisten Fällen auf höchst unangenehmem Weg direkt in die Scheiße geritten, und deswegen ließ sie ihre Instinkte jetzt allein losrennen, blieb einfach nur stehen und sah dem Jungen fest in die Augen. Angsterfüllte Augen, was kein Wunder war, weit aufgerissen und in den Winkeln feucht schimmernd. Sie bemühte sich um eine sanfte Stimme, als begegneten sie sich auf einem Erntefest und nicht zwischen ausgebrannten Gebäuden, toten Menschen und gespannten Bögen.
    »Wie heißt du?«
    Seine Zunge fuhr über die Lippen, die Pfeilspitze zitterte, und die Stelle, auf die sie zielte, löste in ihrer Brust ein fürchterliches Kribbeln aus.
    »Ich bin Scheu. Das ist Lamm.«
    Die Augen des Jungen glitten ruckartig zur Seite, sein Bogen folgte der Bewegung. Lamm zuckte kein bisschen zusammen, er legte die Decke nur wieder so hin, wie er sie vorgefunden hatte, und stand dann langsam auf. Wenn man ihn mit den unvoreingenommenen Augen des Jungen betrachtete, sah er nicht gerade harmlos aus. Trotz seines verfilzten grauen Bartes war klar, dass ein Mann schon sehr achtlos mit der Rasierklinge umgehen musste, um sich solche Narben, wie Lamm sie trug, kampflos zuzuziehen. Scheu hatte immer vermutet, dass er sie in irgendeinem Krieg oben im Norden bekommen hatte, aber falls er damals ein Krieger gewesen war, dann war davon jetzt nicht mehr viel übrig. Er war ein ziemlicher Feigling, wie sie immer schon gesagt hatte. Aber das wusste dieser Junge ja nicht.
    »Wir folgen ein paar Männern.« Scheu sprach immer noch mit ganz weicher, sanfter Stimme, lockte die Augen des Jungen und seine Pfeilspitze wieder zu sich zurück. »Sie haben unseren Hof niedergebrannt, da oben bei Handelsguth. Den Hof verbrannt, den Mann getötet, der für uns gearbeitet hat, und sie haben meine Schwester und meinen Bruder verschleppt …« Ihr brach die Stimme, und sie musste schlucken und sie mit Gewalt wieder zu Sanftheit zwingen. »Wir sind ihnen gefolgt.«
    »Wahrscheinlich waren sie auch hier«, sagte Lamm.
    »Wir sind ihren Spuren nach. Vielleicht zwanzig Männer, die schnell weiterziehen.« Die Pfeilspitze senkte sich allmählich. »Sie haben bei mehreren Höfen angehalten, die auf dem Weg lagen. Überall dasselbe. Dann sind wir ihnen in den Wald gefolgt. Und bis hierher.«
    »Ich war jagen«, sagte der Junge leise.
    Scheu nickte. »Wir waren in der Stadt. Haben unsere Ernte verkauft.«
    »Ich kam wieder und dann …« Die Pfeilspitze deutete auf den Boden, wie Scheu höchst erleichtert feststellte. »Ich konnte nichts machen.«
    »Nein.«
    »Sie haben meinen Bruder mitgenommen.«
    »Wie heißt er?«
    »Evin. Neun Jahre alt.«
    Schweigen. Es war nichts zu hören außer den Tropfen, die weiter von den Bäumen fielen, und das leise Knarren, als der Junge die Bogensehne wieder locker ließ.
    »Weißt du, wer sie waren?«, fragte Lamm.
    »Ich hab sie nicht gesehen.«
    »Weißt du, wieso sie deinen Bruder verschleppt haben?«
    »Ich hab doch schon gesagt, ich war nicht hier, oder? Ich war nicht hier.«
    »Ist ja gut«, sagte Scheu beruhigend. »Ich weiß.«
    »Ihr folgt denen?«, fragte der Junge.
    »Wir holen allmählich auf«, sagte Lamm.
    »Und ihr wollt deine Schwester und deinen Bruder zurückholen?«
    »Darauf kannst du dich verlassen«, sagte Scheu, als ob es auch tatsächlich so geschehen würde, wenn sie es nur mit genug Überzeugung aussprach.
    »Könnt ihr meinen auch wieder zurückholen?«
    Scheu sah zu Lamm hinüber, und er erwiderte ihren Blick und sagte nichts. »Wir können es versuchen«, sagte sie.
    »Dann komm ich mit euch mit, denk ich.«
    Wieder Schweigen. »Bist du sicher?«, fragte Lamm.
    »Ich kann tun, was getan werden muss, du alter Drecksack!«, schrie der Junge, dem die Adern am Hals anschwollen.
    Lamm zuckte nicht mit der Wimper. »Wir wissen bislang nicht, was getan werden muss.«
    »Aber auf dem Karren ist noch Platz, wenn du deinen Teil beitragen willst.« Scheu streckte dem Jungen ihre Hand hin, und er sah sie einen Augenblick an, dann trat er vor und schlug ein. Er drückte sie zu fest, so wie Männer es tun, wenn sie zu beweisen versuchen, dass sie viel härter sind, als es tatsächlich der Fall ist.
    »Ich heiße Lief.«
    Sie machte eine Kopfbewegung zu den beiden Toten hinüber. »Sind das deine Leute?«
    Der Junge blinzelte in dieselbe Richtung. »Ich habe versucht, sie zu begraben, aber der Boden ist hart, und ich habe nichts zum Graben.« Er strich mit dem Daumen

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