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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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lebendig wirkten, hin zu einem gefällten Stamm, der schon halb abgezogen auf ein paar Arbeitsböcken lag; das Zugmesser klemmte noch unter einem Stück Rinde. Dahinter erhoben sich die geschwärzten Knochen eines Hauses.
    »Ist nicht schwer, diesen Drecksäcken zu folgen«, brummte Lamm. »Wo sie gehen und stehen, hinterlassen sie ausgebrannte Ruinen.«
    Wahrscheinlich gingen sie davon aus, dass sie alle umgebracht hatten, die ihnen vielleicht hätten folgen können. Was passieren würde, wenn sie bemerken würden, dass Lamm und Scheu auf ihrem klapprigen Karren hinter ihnen her ratterten, daran versuchte Scheu nicht zu denken.
    Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte sie alles in ihren Gedanken sortiert und geplant, jeden Augenblick des Tages – für sie, Lamm, Gully, und auch für Pit und Ro –, damit alles an seinem ordentlichen Platz war und seinen ordentlichen Zweck erfüllte. Sie hatte stets nach vorn geblickt, war davon ausgegangen, dass die Zukunft besser sein würde als das Jetzt, und diese Zukunft hatte sie sich so klar und deutlich vorgestellt, als sei sie ein Haus, das bereits gebaut worden war. Kaum zu glauben, dass sie erst fünf Nächte unter der flatternden Plane hinten auf dem Wagen verbracht hatte. Dass sie erst an fünf Morgen steif und wund aufgewacht war und ihr das Morgengrauen wie ein wahres Grauen, wie ein Abgrund unter ihren Füßen erschien. Fünf Tage folgte sie den Spuren nun durch das verlassene Grasland bis hinein in die Wälder, ein Auge stets auf ihre schwarze Vergangenheit gerichtet, und sie fragte sich, welcher Teil davon aus der kalten Umklammerung der Erde herausgekrochen sein mochte, um ihr das Leben zu stehlen, während sie euphorisch der Zukunft entgegensah.
    Ihre Fingerspitzen rieben nervös gegen ihre Handfläche. »Sollten wir mal gucken gehen?« In Wahrheit hatte sie Angst vor dem, was sie dort vielleicht vorfinden würde. Angst vorm Hinsehen, und Angst vorm Nichthinsehen. Erschöpft, voller Angst vor allem, und in sich ein leeres Loch, wo einmal ihre Hoffnungen gewesen waren.
    »Ich gehe einmal hinten rum.« Lamm fegte sich mit dem Hut den Schmutz von den Knien und schlug einen Kreis um die Gebäude. Die Zweige knackten unter seinen Stiefeln, ein paar aufgescheuchte Tauben flatterten in den weißen Himmel und machten jeden in der Nähe auf ihre Anwesenheit aufmerksam. Nicht, dass jemand in der Nähe gewesen wäre. Jedenfalls niemand, der noch lebte.
    Hinter dem Haus befand sich ein überwachsenes Gemüsebeet, dessen störrische Erde ein wenig beiseitegekratzt worden war, um einen höchstens knöcheltiefen Graben anzulegen. Daneben war über etwas Unebenem eine durchweichte Decke ausgebreitet. Unten sahen ein paar Stiefel und ein paar knochige, nackte Füße mit Dreckrändern unter den bläulichen Nägeln heraus.
    Lamm kniete sich hin, hob die Decke an einer Ecke hoch und schlug sie zurück. Das Gesicht eines Mannes und einer Frau, grau und schlaff, beide mit durchschnittener Kehle. Der Kopf der Frau kippte leicht zur Seite, und die Wunde in ihrem Hals klaffte nass und purpurn auf.
    »Ah.« Scheu drückte die Zunge gegen die Lücke in ihren Vorderzähnen und sah zu Boden. Man hätte schon ein verdammt großer Optimist sein müssen, um hier etwas anderes zu erwarten, und das war sie ganz sicher nicht, aber dennoch zerrten diese Gesichter an etwas in ihrem Inneren. An der Angst um Pit und Ro, oder an der Angst um sich selbst. Oder vielleicht war es auch eine kranke Erinnerung an die kranke Zeit, in der es für sie nichts Ungewöhnliches gewesen war, Leichen zu erblicken.
    »Lasst sie in Ruhe, ihr Arschlöcher!«
    Das Erste, was Scheu wahrnahm, war das Schimmern einer Pfeilspitze. Dann folgte die Hand, die den Bogen gespannt hielt, mit weißen Knöcheln über dunklem Holz. Als Letztes kam das Gesicht dahinter, das einem Jungen von vielleicht sechzehn Jahren gehörte, ein sandfarbener Haarschopf rund um blasse Haut mit nassen Flecken.
    »Ich bringe euch um! Ich tu’s!«
    Er trat aus den Büschen hervor, suchte mit den Füßen nach festem Halt für einen geraden Stand, und Schatten glitten über sein Gesicht, während die Hand, die den Bogen hielt, zitterte.
    Sie zwang sich, ganz still zu stehen, was einiges an Überwindung erforderte, da die beiden vordringlichen, brennenden Impulse in ihr sie dazu bringen wollten, sich entweder auf ihn zu stürzen oder abzuhauen. Jeder Muskel in ihr drängte darauf, und es hatte Zeiten gegeben, da hatte Scheu sofort das getan, was ihre

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