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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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und dann einen Tuchfetzen an einer Brombeerranke.
    »Ist da jemand entlanggegangen?«, fragte Lief.
    »Mehr als einer. Und ziemlich schnell.« Scheu glitt geduckt denselben Weg entlang, kroch einen schlammigen Abhang hinunter, dessen aufgeweichter Boden von Blättern bedeckt war, die trügerisch unter ihren Füßen nachgaben, versuchte, das Gleichgewicht zu halten und in den dämmrigen Wald zu blicken …
    Und dann sah sie Pit, der mit dem Gesicht nach unten neben einem umgestürzten Baum lag und zwischen den knotigen Wurzeln schrecklich klein aussah. Sie wollte schreien, hatte aber keine Stimme, nicht einmal genug Luft. Sie rannte, rutschte in einem Schauer toter Blätter aus und rannte weiter. Sie kniete sich neben ihn, sein Hinterkopf war eine blutige Masse, streckte die Hand aus, wollte sein Gesicht nicht sehen und musste es doch. Sie hielt den Atem an, als sie den Jungen umdrehte. Der Körper war klein, aber steif wie ein Brett. Mit bebenden Fingern wischte sie die Blätter weg, die an seinem Gesicht klebten.
    »Ist das dein Bruder?«, raunte Lief.
    »Nein.« Ihr war beinahe übel vor Erleichterung. Und dann vor Schuldgefühlen, weil sie so erleichtert war, obwohl hier dieser tote Junge lag. »Deiner?«
    »Nein«, sagte Lief.
    Scheu schob die Hände unter das tote Kind und hob es auf, dann stolperte sie, von Lief gefolgt, den Hang hinauf. Lamm stand zwischen den Bäumen auf der Kuppe und starrte ihnen entgegen, eine schwarze Gestalt, wie ausgestanzt vor dem Glühen des Sonnenuntergangs.
    »Ist er es?«, ertönte seine bebende Stimme. »Ist es Pit?«
    »Nein.« Scheu legte den Jungen ins niedergetretene Gras, die Arme weit ausgebreitet, den Kopf starr zurückgeneigt.
    »Bei den Toten.« Lamm vergrub die Finger in seinem grauen Haar und umklammerte seinen Kopf, als wollte der platzen.
    »Vielleicht hat er versucht abzuhauen, und sie haben an ihm ein Exempel statuiert.« Sie hoffte, dass Ro so etwas nicht versuchte. Hoffte, dass sie zu schlau dazu war. Hoffte, dass sie schlauer war als Scheu selbst in ihrem Alter. Sie stützte sich auf den Wagen, wandte den anderen den Rücken zu, kniff die Augen zusammen und wischte die Tränen weg. Wühlte die verdammten Schaufeln hervor und brachte sie dann zu den anderen.
    »Schon wieder graben, verdammte Scheiße«, stieß Lief hervor und hackte in den Boden, als sei er es gewesen, der seinen Bruder verschleppt hatte.
    »Besser graben als begraben werden«, sagte Lamm.
    Scheu ließ sie schaufeln und die Ochsen grasen und zog ihre Kreise um das Lager, dicht am Boden, fuhr mit den Fingern durch das kalte Gras und versuchte, im schwindenden Licht die Spuren zu lesen. Versuchte herauszufinden, was sie getan hatten, und was sie als Nächstes tun würden.
    »Lamm.«
    Mit einem Schnaufen kniete er sich neben sie und schüttelte die Erde von seinen Handschuhen. »Was ist das?«
    »Sieht aus, als wären drei von ihnen hier abgebogen, nach Süden und Osten. Die anderen haben sich weiter nach Westen gehalten. Was meinst du?«
    »Am besten nichts. Du bist die Spurenleserin. Obwohl ich keine Ahnung habe, wann du darin so verdammt gut geworden bist.«
    »Das ist nur eine Frage der richtigen Schlussfolgerungen.« Scheu wollte nicht zugeben, dass Verfolgen und Verfolgtwerden zwei Seiten derselben Münze waren, und dass sie zwei Jahre der bittersten Erfahrung hatte, was das Verfolgtwerden betraf.
    »Sie haben sich aufgeteilt?«, fragte Lief.
    Lamm fummelte an der Kerbe an seinem Ohr und sah nach Süden. »Vielleicht ein Streit oder so was?«
    »Könnte sein«, sagte Scheu. »Oder vielleicht haben sie diese drei losgeschickt, um sich umzusehen und sicherzugehen, dass ihnen niemand folgt.«
    Lief fasste unsicher nach einem Pfeil, und seine Augen wanderten über den Horizont.
    Lamm bedeutete ihm, den Bogen zu senken. »Wenn sie das hätten tun wollen, dann hätten sie uns schon längst gesehen.« Er sah weiter nach Süden am Waldsaum entlang zu einem niedrigen Hügelkamm, genau den Weg, den die drei Scheus Vermutung nach eingeschlagen hatten. »Nein. Ich glaube eher, sie hatten genug. Vielleicht ging ihnen das alles zu weit. Vielleicht hatten sie das Gefühl, sie wären die Nächsten, die irgendwo baumeln. Egal, wir folgen ihnen. Vielleicht können wir sie einholen, bevor die Räder von diesem Karren endgültig auseinanderfallen. Oder ich«, setzte er hinzu, als er sich mit verkrampftem Gesicht auf den Kutschbock hievte.
    »Die Kinder sind nicht bei den dreien«, sagte Lief grimmig.
    »Nein.«

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