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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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für den Tempel ihn zunächst gehalten hatte. »Stehst du auf fehlende Finger oder was?«
    »Nein, aber … ich habe neulich jemanden getroffen, der sich vielleicht dafür interessiert. Er sagte, man habe ihn nach Fernland geschickt, um nach einem neunfingrigen Mann zu suchen.«
    »Wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige in Fernland, dem ein Finger fehlt.«
    Tempel gab sich alle Mühle, sich jetzt sehr vorsichtig auszudrücken. »Aber ich habe das Gefühl, du könntest genau so ein Typ sein, wie diese Art von Kerl ihn sucht. Er hatte ein Auge aus Metall.«
    Kein Zeichen des Erkennens. »Ein Mann mit einem fehlenden Auge sucht einen Mann mit einem fehlenden Finger. Darüber könnte man bestimmt gut ein Lied machen. Hat er einen Namen genannt?«
    »Caul Espe.«
    Lamms vernarbtes Gesicht verzog sich, als hätte er in etwas Bitteres gebissen. »Bei den Toten. Die Vergangenheit will einfach nicht ruhen.«
    »Dann kennst du ihn?«
    »Ich kannte ihn vor langer Zeit. Aber du kennst ja das alte Sprichwort – alte Milch wird sauer, alte Rache immer süßer.«
    »Wo wir gerade von Rache oder vielmehr offenen Rechnungen sprechen.« Ein zweiter Schatten fiel auf ihn, und Tempel sah mit zusammengekniffenen Augen hoch. Scheu stand wieder vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt. »Einhundertzweiundfünfzig Mark. Und acht Bruch.«
    »O Gott! Wieso hast du mich nicht einfach im Fluss liegen lassen?«
    »Diese Frage stelle ich mir auch jeden Morgen.« Ihr spitzer Stiefel stupste ihn in den Rücken. »Und jetzt hoch mit dir. Majud möchte eine Besitzurkunde über ein paar Pferde erstellen lassen.«
    »Wirklich?«, fragte er, und Hoffnung keimte in seiner Brust.
    »Nein.«
    »Ich reite wieder als Treiber.«
    Sie grinste nur, drehte sich um und ging.
    »Gerade sanft genug, meinst du?«, brummte Tempel.
    Lamm stand auf und wischte sich die Hände am Hosenboden ab. »Es gibt ja immer einen neuen Tag.«

ÜBER DEN FLUSS
    H abe ich zu viel versprochen?«, fragte Süß.
    »Ausnahmsweise mal nicht«, sagte Corlin.
    »Das ist wirklich eine große«, raunte Lamm.
    »Zweifelsohne«, setzte Scheu hinzu. Sie war normalerweise nicht leicht zu beeindrucken, aber die Kaiserbrücke bei Sictus war ein überwältigender Anblick, vor allem, wenn man seit Wochen nichts mehr zu Gesicht bekommen hatte, was auch nur annähernd als Gebäude durchgegangen wäre. Sie überspannte den breiten, gemächlichen Fluss mit fünf hoch aufstrebenden Bögen, so hoch über dem Wasser, dass man sich den enormen Maßstab kaum vergegenwärtigen konnte. Die Skulpturen auf den verwitterten Sockeln waren vom Wind zu unkenntlichen Klumpen abgeschliffen worden, der Stein war mit Unkraut, Efeu und sogar ganzen Bäumen bewachsen, und an den Brückenköpfen wimmelte es von herumziehendem Volk. Selbst jetzt, von der Zeit in die Knie gezwungen, war die Kaiserbrücke ein Ehrfurcht gebietendes, majestätisches Bauwerk, das eher wie eine wunderbare Naturerscheinung wirkte und nicht wie etwas, das menschlicher Ehrgeiz hervorgebracht hatte oder das gar von Menschenhand erbaut worden war.
    »Die steht seit mehr als tausend Jahren«, sagte Süß.
    Scheu schnaubte. »Also schon fast so lange, wie du da im Sattel hockst.«
    »Und in der ganzen Zeit habe ich nur zweimal meine Hosen gewechselt.«
    Lamm schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir gar nicht.«
    »Sie so selten zu wechseln?«, fragte Scheu.
    »Das überhaupt zu tun.«
    »Das hier ist unsere letzte Gelegenheit, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, bevor wir Knick erreichen«, sagte Süß. »Es sei denn, dass wir später noch einmal Glück haben und ein paar freundliche Leute treffen.«
    »Auf Glück sollte man sich nie zu sehr verlassen«, sagte Lamm.
    »Schon gar nicht in Fernland. Also seht zu, dass ihr alles kauft, was ihr braucht, aber auch, dass ihr euch nichts andrehen lasst, was ihr nicht braucht.« Scheu deutete auf eine Kiste aus poliertem Holz, die jemand an den Straßenrand geworfen hatte. Die schönen Verleimungen waren vom Regen aufgequollen und aufgesprungen, und eine Kolonie riesiger Ameisen schien es sich darin gemütlich gemacht zu haben. Auf den letzten Meilen hatten sie jede Menge sperrige, schwere Gegenstände herumliegen sehen wie Treibgut nach einer Flut. Dinge, die erst als unverzichtbar betrachtet worden waren, als ihre Besitzer die Zivilisation hinter sich ließen. Schöne Möbel sehen aber plötzlich viel weniger ansprechend aus, wenn man sie tragen muss.
    »Man sollte nichts besitzen, womit man nicht auch

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