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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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somit zum nächsten Glied in der Beweiskette. Er und seine Leute waren zu Pferde zum Flattop Mountain gekommen. Nun würde er einen der Männer ins Tal schicken, damit er Annas Ausbeute ins Labor brachte. Die übrigen drei und Harry wollten sich auf die Suche nach McCaskil machen.
    Beschlüsse, die Natur in einem Nationalpark zu stören, wurden nicht leichtfertig getroffen. Helikopter, Bulldozer, Kettensägen und selbst Suchhunde wurden nicht schon beim ersten Anzeichen menschlichen Unbehagens eingesetzt. In den Jahren, die Anna nun schon die Entscheidungsfindung in Nationalparks hatte beobachten können, hatte die Leitung stets dann denn größten Mut bewiesen, wenn sie darauf verzichtete, einem Problem mit technischen Mitteln zu begegnen, und die Natur lieber mit ihren eigenen Waffen bekämpfte anstatt mit Waffen, Hunden, Gabelstaplern und Boraxbomben. Noch heldenhafter war es, auf Widerstand zu verzichten und das Feuer brennen, einen Fluss seinen Lauf ändern und historische Stätten ersatzlos zerbröckeln zu lassen.
    Wirklich heroisch wurde dieses Verhalten letztlich dadurch, dass die verantwortlichen Personen häufig ihren Hut nehmen mussten. Die Öffentlichkeit stand einer Natur, die nicht nach der Pfeife des Menschen tanzte, feindselig gegenüber. Dennoch hatte Ruick beschlossen, William McCaskil zu Fuß und zu Pferde zu jagen. Die Bergung von Carolyn Van Slykes Leiche war schon genug Eingriff in die Unversehrtheit des Parks gewesen. Falls Ruick sich irrte, er McCaskil nicht fand, und sich dieser als Van Slykes Mörder erwies, der darüber hinaus noch einen weiteren Touristen tötete, würde der Polizeichef den Preis dafür bezahlen und seine Tage vermutlich als Parkwächter auf einem Veteranenfriedhof aus dem Bürgerkrieg beenden.
    Anna hatte deshalb Hochachtung vor ihm. Eines Tages würde sie es ihm sagen müssen. Heute hatte sie noch einiges vor. Sie sollte sich nicht an der Suche nach McCaskil beteiligen, sondern sich auf den Weg in das Gebiet oberhalb der Baumgrenze machen, wo die Motten sich fortpflanzten und starben, wo die Felsen von der Sonne gebleicht waren und wo der marineblaue Sack einige Zeit verbracht haben musste.
    In der Nacht zuvor hatte Joan Anna einen Schnellkursus in Sachen Grizzlys und Dickkopffaltern gegeben. Im Glacier gab es neun feste Sammelplätze für Motten, die bekanntermaßen von Bären aufgesucht wurden. Alle befanden sich in einer Höhe von über zweitausendeinhundert Metern auf nach Süden oder Westen zeigenden Hängen. Die Motten ließen sich in Gletscherringen direkt unterhalb von steilen Felswänden im Geröll nieder.
    Am Ende ihres Vortrags hatte Joan ihr starkes Missfallen daran bekundet, dass Anna sich diesen Sammelplätzen nähern wollte. Als Forscherin lehnte sie den Einfluss ab, den die Anwesenheit eines Menschen – selbst eines so zierlichen und leichtfüßigen wie Anna – unweigerlich auf die Bären haben würde, die sonst ungehindert in diesem Gebiet umherzogen. Da sie außerdem ein gutes Herz hatte, wollte sie verhindern, dass Anna sich an Futterstellen herumtrieb, die jetzt, zum Höhepunkt der Saison, hauptsächlich von Weibchen mit ihren Jungen und jugendlichen Bären genutzt wurden.
    »Sie werden dich als Leckerbissen und Störenfried betrachten«, fasste Joan ihre Ausführungen zusammen. »Da ist die Katastrophe vorprogrammiert.«
    »Und das ist kein Scherz«, fügte Buck hinzu, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Wildhüterin am Stiel«, ergänzte Rory.
    Nachdem Joan ihre eindringliche Warnung losgeworden war, war sie widerstrebend zur Karte gegangen und hatte Anna auf die Stellen hingewiesen, die dem Flattop Mountain am nächsten lagen.
    Anna nahm die von Joan markierte topografische Karte und zeigte sie Harry. Nach den Gesetzen der Logik, über die der Mensch, den sie suchten, allem Anschein nach herzlich wenig wusste, kam ein von Joan eingekreister Sammelplatz am Südhang des Cathedral Peak am ehesten infrage. Der Cathedral Peak, gut zweitausendeinhundert Meter hoch, war der einzige Sammelplatz des Großkopffalters, der sich – um den Begriff einmal großzügig zu verwenden – in einigermaßen bequemer Entfernung zum Flattop Mountain befand, wo der mit Mottenstaub bedeckte Sack entdeckt worden war. Angesichts der am Stoff haftenden Menge sowohl von Mottenstaub als auch von graugrünem Pulver, das Joan als Tonerde einstufte, hatte der Sack zwischen seiner Zeit als Staubfänger und seinem Einsatz als Aufbewahrungsbehältnis für Menschenfleisch keine allzu

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