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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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weite Strecke zurückgelegt.
    Die Landschaft, in die Anna aufbrechen wollte, war gebirgig, steil und trocken. Zu anspruchsvoll also für den schwerfälligen Ponce. Also würde er den Abend freibekommen, während Anna zu Fuß ging. Die meiste Zeit würde sie klettern müssen. Es gab weder Pfade noch Seen oder Bäche. Nur Sickerquellen, die vermutlich kaum Wasser führten. Bis zu dem natürlichen Amphitheater, Annas Ziel, war es zwar in Kilometern gemessen nicht weit, doch der Weg würde viel Zeit und Kraft kosten. Wahrscheinlich würde sie die Nacht auf dem Berg verbringen müssen. Allerdings wuchsen nirgendwo Bäume, an denen sie ihre Lebensmittel hätte aufhängen können. Und wenn dieser Sammelplatz tatsächlich gut besucht war, würde es von Grizzlys, hauptsächlich Weibchen mit ihren Jungen, nur so wimmeln. Also mussten Zahnpasta, Anti-Moskito-Mittel und Seife in Fifty Mountain zurückbleiben. Anna aß, so viel sie konnte, und packte gerade genug für eine weitere Mahlzeit ein. Am kommenden Morgen würde es kein Frühstück geben. Wegen der steilen Anstiege musste sie auch ihr Gepäck einschränken: kein Zelt, kein Kocher, nur Kamera, Plane, Daunenweste, Schlafsack, Wasser und Filter. Selbst eine Sickerquelle brachte genug Wasser hervor, um eine Feldflasche zu füllen, wenn man Geduld hatte. Oder Durst.
    Um halb zwei machte sie sich von Fifty Mountain aus auf den Weg nach Osten. Die ersten anderthalb Kilometer marschierte sie den Highline Trail entlang, einen ausgebauten Pfad, der dem Bergkamm östlich des Flattop Mountain folgte und sich zurück zu seinem Anfang an der Going to the Sun Road schlängelte. Auf etwa zweitausend Metern Höhe, wo der Highline Trail einen Knick nach Süden machte, wandte Anna sich nach Norden und marschierte querfeldein zu dem Gletscherkreis am Fuße des Südwesthangs des Cathedral Peak.
    Selbst in dieser Höhe hatte jeder Meter bergauf dramatische Auswirkungen auf die Landschaft. Steine durchsetzten die rostbraune Erde. In der Ferne, an einem Steilhang, bemerkte Anna weiße Punkte: Bergziegen, die grasten und an den unerreichbarsten Stellen umherkletterten. Die Pflanzenwelt wurde spärlicher, bis nur noch die widerstandsfähigsten Fichten aus dem Boden ragten, deren verkrüppelten und verdrehten Ästen man das beschwerliche Dasein anmerkte. Anna fühlte sich geehrt, zwischen diesen unerschütterlichen Rebellen einhergehen zu können, die zwar von den Elementen gebeutelt wurden, ihnen jedoch weiterhin trotzten. Den Großteil der Strecke legte sie wie ein Pavian auf allen vieren zurück, denn der Hang war wegen des lockeren Gerölls und der von den Bäumen abgeworfenen Nadeln rutschig. Immer wieder machte sie Rast, lehnte sich an einen knorrigen Baumstamm und blickte nach Westen über die smaragdgrünen Wiesen nördlich des Fifty Mountain Camp hinweg zu den mit bläulich schimmernden Wäldern bewachsenen Bergen. Aus diesem Land des Überflusses, strotzend von Wasser und Wild, erhoben sich weitere Wüsten: Gipfel wie der, den sie besteigen wollte, wo nichts wuchs und wo das Leben der Felsen für das bloße Auge sichtbar war.
    Kurz nach vier Uhr nachmittags kletterte sie das letzte Massiv hinauf, eine zwölf Meter hohe graue Wand aus bröckelndem tonhaltigem Gestein, dessen trügerische Beschaffenheit an den Millionen von Rissen und Nischen in dem gewaltigen Haufen von Felsbrocken an ihrem Fuße zu erkennen war. Der Glacier genoss bei Kletterern keine große Beliebtheit. Die Felsformationen, aus denen die Berge sich zusammensetzten, waren zu weich und boten Haken keinen Halt, während manche Simse schon unter dem geringsten Gewicht in sich zusammenbrachen.
    Nachdem sich Anna einen Dreiviertelkilometer weit durch Krüppelfichten gearbeitet hatte, ragte vor ihr der Cathedral Peak in all seiner majestätischen Pracht empor. Hier befand sich ein klassischer Gletscherring, eine von einem Gletscher in den Berg gegrabene Ausbuchtung, die an ein steiles Amphitheater von zwei- bis dreihundert Metern Durchmesser und ungefähr der halben Länge erinnerte. Am oberen Ende erhob sich ein anderes Bergmassiv, gefolgt von einem noch steileren Anstieg zum Gipfel. In einem Viertel des Kreises lag noch Schnee. Da es mitten im Sommer war, wusste Anna, dass er trocken und verkrustet sein würde, sich also nicht zum Schmelzen und Trinken eignete. Der restliche Boden war mit graugrünem Alpengeröll bedeckt, flachen, lockeren Steinen, manche klein wie Teetassen, andere so groß wie Tischplatten.
    Im Moment war

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