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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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die Landschaft bärenfrei. Joan hatte Anna erklärt, Grizzlys und Schwarzbären täten sich morgens an den Motten gütlich, ruhten sich während des Tages in der Nähe aus und fräßen am Abend weiter.
    Obwohl Anna nach dem beschwerlichen Weg erschöpft war, empfahl es sich deshalb, dass sie sich umsah, während die Bären Pause machten. Dass sie nirgendwo einen entdecken konnte, bedeutete nicht, dass keine in der Nähe waren. Wilde Tiere pflegten sich nämlich selten in aller Öffentlichkeit schlafen zu legen. Selbst an Orten, wo sie sich sicher fühlten, versteckten sie sich lieber. Und selbst ein Gebiet, das auf den ersten Blick keine Geheimnisse zu bergen schien, wie dieser Gletscherkreis, konnte unter den Steinen von Nischen durchsetzt sein. Auch die umliegenden Felsen wiesen vielleicht Höhlen auf, auch wenn die Bären sich für gewöhnlich zum Winterschlaf unterhalb der Baumgrenze zurückzogen.
    In dieser Höhe wehte fast immer ein Wind mit einer Geschwindigkeit von oft mehr als sechzig Stundenkilometern. Im Sommer kam er meistens aus Südwesten, war jedoch ziemlich kalt, da hier nichts vor der Brise schützte. Anna, die nach dem Anstieg völlig durchgeschwitzt war, fror bald erbärmlich. Also zog sie den Reißverschluss ihrer Daunenjacke zu und marschierte auf zitternden Beinen den Hang hinauf zum Grund des Gletscherkreises. Die Sammelplätze des Großkopffalters, und somit auch die Futterstellen der Bären, befanden sich normalerweise am Anfang des Amphitheaters unterhalb des Massivs. Während Anna sich durch das Geröll tastete, wurde die Erschöpfung von der nicht notwendigerweise unangenehmen geschärften Aufmerksamkeit abgelöst, wie Daniel sie in der Löwengrube empfunden haben mochte.
    Nicht jeder Sammelplatz wurde täglich besucht, denn wie alle Lebewesen hatten auch Bären ihre Vorlieben und Neigungen. Diese Stelle war seit 1995 nicht mehr überprüft worden. Die Forscher im Glacier waren nicht nur stolz auf die Qualität ihrer Studien, sondern auch darauf, dass sie dabei so wenig wie möglich in die Natur eingriffen. Joan hatte Anna einen Vortrag über die Schwierigkeiten gehalten, zu denen ihre Anwesenheit am Sammelplatz führen könnte. Außerdem hatte sie ihr das Versprechen abgenommen, sich gründlich umzuschauen und sich Notizen zu machen. Wenn sie dieses Fleckchen Erde schon mit ihrer Gegenwart entweihen musste, sollten wenigstens Daten dabei herausspringen.
    Allerdings interessierte sich Anna im Moment hauptsächlich für die Schlafplätze der Bären. Für gewöhnlich fraßen Bären von sechs Uhr morgens bis ein Uhr mittags und ruhten sich dann bis sechs Uhr abends aus. Um ihr Nickerchen zu halten, gruben sie sich Lager im Geröll oder im Schnee. Aus der Luft waren die schlafenden Tiere leicht auszumachen. Am Boden hingegen war es ziemlich einfach, über einen Schläfer zu stolpern.
    Nachdem Anna den Anfang des Kreises wohlbehalten erreicht hatte, setzte sie sich auf einen viereckigen Felsen, der vom Hang heruntergestürzt war, und holte ihr Fernglas heraus. Schließlich würde sie mit den Augen weniger Schaden anrichten als mit den Füßen – ganz zu schweigen davon, dass diese nicht so müde waren. In Gedanken teilte sie das längliche, halbmondförmige Gebiet in Quadranten ein und suchte den Boden ab. Sie entdeckte eine beträchtliche Anzahl von Kothaufen. Die meisten davon schienen alt und eingetrocknet zu sein, aber um sicherzugehen, würde sie sie aus der Nähe betrachten müssen. Außerdem bemerkte sie fünf der ovalen Gruben, nach denen sie Ausschau halten sollte. Wieder einmal erstaunte sie die schiere Körperkraft der Grizzlys. Einige der Gruben waren bis zu einem halben Meter tief, was hieß, dass viele Tonnen Gestein bewegt worden waren.
    Inzwischen überzeugt, dass sie allein war und nicht als Nachmittagsimbiss würde herhalten müssen, steckte Anna das Fernglas weg und rutschte vom Felsen. So faszinierend die Lebensgewohnheiten der Bären auch sein mochten, waren sie nicht der Grund, warum Anna einen Tag damit verbracht hatte, sich einen Berg hinaufzuquälen. Sie brauchte Spuren des Besitzers eines marineblauen Stoffsacks. Allerdings war die Spurensuche auf Stein, selbst solchem mit weichen Tonerdeanteilen, nicht sehr aussichtsreich, weshalb Anna auf ihr Glück würde vertrauen müssen. Oder auf Abfälle, wenn die Götter ihr gewogen waren.
    Langsam machte sie sich an die Arbeit, wobei sie ständig zwischen dem Boden und dem Horizont, wo jeden Moment eine Horde Bären

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