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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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Rascheln eines durchs Gebüsch schleichenden Körpers. Das Wasser gefror in Annas Kehle. Als sie sich zum Schlucken zwang, entstand ein lautstarkes Glucksen, das sie zusammenzucken ließ.
    Wieder spitzte sie die Ohren. Sie hörte ein hauchzartes Brausen wie von Wasser, das eine Schlucht hinunterstürzte. Allerdings gab es in dieser Höhe keine Flüsse oder Bäche von einer solchen Größe. Anna fragte sich schon, ob sie wegen des Schlags auf den Kopf an akustischen Halluzinationen litt. In weiter Ferne und ärgerlich schwierig auszumachen, ging das Zischen weiter. Darauf folgte, ebenso leise und dennoch deutlich in der ruhigen, kristallklaren Luft, ein Klicken. Metall, die Lösung des akustischen Rätsels.
    Das Zischen war das vertraute lästige Geräusch eines Gaskochers, das Klicken kam von einer Pfanne oder einem Topfdeckel. Jemand kochte Abendessen. Anna rappelte sich auf und steuerte viel zu schnell auf das Geräusch zu. Ihr Knie gab nach, sodass sie zu Boden fiel. Als der Schmerz verebbte, schickte sie ein kurzes Dankesgebet zu einem Himmel, den sie eigentlich für taubstumm hielt.
    Joan hätte sie nie bewusstlos im Geröll liegen gelassen und dann nur einen guten Kilometer entfernt angefangen, in aller Seelenruhe Abendessen zu kochen. Außerdem hatte Joan weder einen Kocher noch Campingausrüstung bei sich. In ihrer Hast, ihre Theorie zu beweisen, hatte Anna sie und Rory ebenso unvorbereitet wie sie selbst in diesen Schlamassel hineingezogen.
    Eine Weile verharrte sie ausgestreckt auf der weichen Schicht aus Nadeln und überlegte, was die bessere Lösung war – nachzusehen, wer da im Wald campierte, oder Flucht.
    Das Zischen des Kochers verstummte. Eine zornige Stimme, nur eine, erhob sich. Die Wörter waren zwar nicht zu verstehen, doch der wütende Tonfall war unverkennbar, worauf Annas Entscheidung feststand. Ohne auf den Schmerz in ihrem Bein zu achten, schlich sie so vorsichtig wie möglich, Schritt für Schritt und Baum für Baum, auf die Geräuschquelle zu. Zweimal hielt sie inne, da sie glaubte, hinter sich in der Dunkelheit das verstohlene Tappen gewaltiger Tatzen auf den Fichtennadeln zu hören.
    Das Tappen verstummte, wenn sie stehen blieb. Vielleicht war es ja nur der Hall ihrer eigenen Stiefel, die sie mit äußerster Sorgfalt auf den Boden setzte. Vielleicht handelte es sich auch nur um Einbildung. Aber ganz gleich, was es auch sein mochte, Anna wollte nicht mehr fliehen. Das Grauen hinter ihr war ebenso beharrlich wie das, was sie erwartete.
    Die schimpfende Stimme war zwar beunruhigender, doch in der Dunkelheit leichter auszumachen als das konturlose Zischen des Kochers. Da der Mensch seinem Ärger ziemlich heftig Luft machte, verursachte er einen solchen Radau, dass er Annas Schritte übertönte. Deshalb kam sie rasch voran.
    Die Geschwindigkeit arbeitete auf seltsame Weise gegen sie. Je schneller Anna ging, desto stärker wurde ihr Eindruck, dass jemand sie verfolgte, und desto deutlicher stand ihr das Bild von funkelnden Augen und gefletschten Zähnen, nur wenige Zentimeter entfernt von ihrem Nacken, vor Augen. Viel Selbstbeherrschung und ein verletztes Knie waren nötig, um zu verhindern, dass sie der kindlichen Panik nachgab und auf den Klang der menschlichen Stimme zurannte.
    Dann ein Fehltritt, bei dem Anna sich das Knie verdrehte, sodass sie anhalten musste. Sie keuchte. Außerdem war sie schweißnass und würde sicher bald zu frieren anfangen. Nimm dich zusammen, sagte sie sich. Atme.
    Sobald Anna aus Angst vor der Dunkelheit und den Ungeheuern, die sie bevölkerten, weder Körper noch Geist bewegte, um bloß kein Geräusch zu verursachen, verstand sie einzelne Wörter: »Schluss. Kein Scheißspiel. Bei Gott, ich werde es tun.«
    Ernüchtert setzte sie sich wieder in Bewegung. Sie drängte den Gedanken an den Bären beiseite, besann sich auf die beruhigende Langsamkeit, mit der sie anfangs durch den Wald geschlichen war, und achtete darauf, möglichst leise zu sein und in der Finsternis nicht mit harten Gegenständen zusammenzustoßen.
    Nach einer Minute blieb sie ruckartig stehen. Etwa fünf Meter vor ihr ragte eine dunkle Gestalt auf. Ein Mann, wie sie vermutete. Er hatte eine Taschenlampe in der Hand, mit der er in entgegengesetzter Richtung in den Wald leuchtete. Im fahlen Lichtkegel erkannte Anna, dass er hochgewachsen war und ein Gewehr mit langem Lauf unter den rechten Arm geklemmt hatte. Im nächsten Moment bemerkte sie Joan und Rory.
    Joans Gesicht war bleich mit einem

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