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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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sie strahlen wie ein Leuchtturm.
    Anna machte sich in Gedanken – wenn auch nicht körperlich – ganz klein, schlüpfte aus ihrem Rucksack und stellte ihn direkt vor sich auf den Boden, wo sich seine burgunderrote Farbe nicht in einem tastenden Lichtkegel von der braungrünen Landschaft abheben würde. Ohne etwas zu sehen, durchwühlte Anna den Inhalt. Inzwischen ging ihr Atem flach und stoßweise. Ihre Kopfhaut prickelte, und Hände und Füße wurden taub. Du hyperventilierst, warnte sie sich. Angst. Anstelle der üblichen Papiertüte hielt sie sich den Rucksack vors Gesicht und atmete ein und aus. Alle Gerüche ihres kurzen Aufenthalts im Glacier schlugen ihr entgegen: Erdnussbutter, Stinktier, Schweiß, Fischgedärm, Fett und Staub. Ihre Kopfhaut entspannte sich, und die Finger fühlten sich wieder wie Finger an. Zehn weitere abgezählte und über eine kleine Ewigkeit verteilte Atemzüge später konnte sie den Rucksack senken. In der Hand hatte sie den Bolzenschneider, der schneller und zuverlässiger funktionieren würde als das vom jahrelangen Rundumeinsatz stumpf gewordene Schweizer Messer.
    Der Lichtkegel glitt ziellos vorbei. Anna wartete auf den Knall eines Schusses und darauf, dass ihr plötzlich ein freiliegender Ellbogen oder ein Knie weggerissen wurde. Doch McCaskil hatte sie nicht gesehen. Ein Stück entfernt zwischen den Bäumen, gedämpft von der tintenschwarzen Nacht, hörte sie das verstohlene Tappen weicher Füße auf Waldboden.
    Da sie nichts dagegen unternehmen konnte, schob sie es beiseite.
    Ein rascher Blick verriet ihr, dass McCaskil sich wieder umgedreht und von ihr abgewandt hatte. Mittlerweile schrie er nicht mehr, sondern sprach mit eiskalter, ruhiger und deshalb noch beängstigenderer Stimme in die Finsternis hinein. »In einer Minute töte ich den Jungen. Du kannst ihn retten. Balthazars Leben für das des Jungen. Eine Minute.« Er fing an, mit lauter Stimme zu zählen.
    Vom Regen in die Traufe, sagte sich Anna und rollte hinter dem schützenden Baum hervor. Ohne auf den stechenden Schmerz in ihrem verletzten Knie zu achten, huschte sie so schnell wie möglich zu den anderen hinüber. Wenige Sekunden später kauerte sie hinter Rory. »Kein Mucks«, raunte sie ihm ins Ohr. Als sie ihm den Bolzenschneider zeigte, verstand er und schwang rasch und lautlos die Füße herum.
    Joan wandte den Kopf. In der Dunkelheit konnte Anna ihre Miene nicht deuten. Sie vertraute auf Joans patente Art, auch wenn sie nicht wusste, wie sehr diese von der Angst in Mitleidenschaft gezogen worden war. Da Anna nichts tun konnte, um sich und die Forscherin zu beruhigen, achtete sie nicht auf sie.
    Anna verschloss ihren Verstand gegen die möglichen Folgen und betastete Rorys Knöchel. Ein schmaler Riemen aus Hartplastik. McCaskil hatte seine Gefangenen mit Plastikhandschellen gefesselt, wie Polizisten sie für den Notfall bei sich hatten. Offenbar hatte er sich gut vorbereitet. Diese Fesseln waren zwar unmöglich zu zerreißen, eigneten sich jedoch besser als alles andere dafür, mit einem Bolzenschneider durchtrennt zu werden. Anna war McCaskil für seine Entscheidung dankbar.
    »Neunundzwanzig«, rief McCaskil. »Achtundzwanzig.«
    Knips, knips.
    Als Anna mit dem Plastik ein Stück von Rorys Haut erwischte, schrie dieser »Aua!«. Der elende Unglücksmensch hatte tatsächlich »Aua!« gerufen! »Entschuldige«, flüsterte er – zu spät.
    »Er dreht sich um«, zischte Joan.
    »Lauf«, befahl Anna und schob Rory auf die Füße. »Lauf!« Sie versetzte dem Jungen einen Schubs auf das nächstbeste Körperteil und rappelte sich auf, um sich ihm anzuschließen.
    Eine schrille Tirade, die wie aus den Kehlen einer ganzen Schar von Dämonen klang, hallte über die Lichtung. McCaskils Drohungen, Rorys Angstschreie, Joans Flehen und Annas eigener Wortschatz, der eines Bierkutschers würdig gewesen wäre, als sie mit sinnlosen Verwünschungen um sich warf. McCaskils Taschenlampe zitterte und zuckte. In Gedanken hörte Anna, wie Teddy Pinson, ein alter Freund aus dem College » Und schneidend schnellt die Klinge vor « deklamierte.
    Rory verschwand in der Dunkelheit, gefolgt von einem Schuss, so nah und laut, dass es Anna in den Ohren klingelte. Die vom Knalltrauma erzeugte Taubheit wurde von einem Schrei durchbrochen. Annas Verstand gab sich der Überforderung geschlagen. Das metallische Geräusch eines Gewehrs mit Stoßboden, und die nächste Kugel glitt in die Kammer. Anna war gestürzt. War sie getroffen worden und

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