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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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…« – Anna empfand diesen unwissenschaftlichen Kraftausdruck als beruhigend – »… ist die Methode, mit der Bären ihr Territorium markieren. Nach einem ernsthaften Übergriff, insbesondere wenn der Bär das Opfer gefressen hat, findet man häufig einen riesigen Kackhaufen. Vor drei Jahren haben wir einen Fall aufgeklärt, in dem Bären einen Menschen umgebracht hatten. Wir haben DNA -Proben von der Kacke genommen, und, siehe da, sie stimmten mit Haarproben überein, die wir im Vorjahr bei einer anderen Begegnung zwischen Mensch und Bär sicherstellen konnten. Also wussten wir, dass wir die richtigen Bären hatten und sie nicht nur erschossen, um der Familie des Opfers eine Freude zu machen.«
    »Bären im Plural?«, hakte Anna nach.
    »Eine Mutter und ihre beiden zweijährigen Jungen. Wir mussten sie alle töten. Sie hatten sich an der Mahlzeit beteiligt.« Offenbar war Joan gerade eingefallen, dass diesmal nicht ein namenloser Fremder, sondern vielleicht Rory Van Slyke der Hauptgang war, denn sie schüttelte sich, wie um einen unangenehmen Gedanken loszuwerden. »Jedenfalls hätte ich angenommen, dass unser Bär auch markiert hat.«
    Anna schwieg, weil sie nicht wusste, wie Bären normalerweise ihre Visitenkarte hinterließen.
    Gegenstände aus Rorys Zelt lagen verstreut herum, als hätte ein verwöhntes Kind sie weggeworfen. »Taschenlampe«, verkündete Joan und bückte sich, um den besagten Gegenstand aufzuheben. Sie hielt die Taschenlampe ins Licht der ersten Sonnenstrahlen. »Zahnabdrücke.«
    »Der Bär hat eine Taschenlampe mitgenommen?«, wunderte sich Anna.
    »Das bezweifle ich.«
    Ein Bär hätte die Taschenlampe weder mitgenommen noch längere Zeit mit sich herumgetragen. Ganz im Gegensatz zu Rory. Anna nahm Joan den Plastikzylinder aus der Hand, um die Bissspuren selbst zu betrachten. »Kein Blut«, merkte sie an. »Wahrscheinlich eine gute Nachricht.« Ihre Zuversicht wirkte gekünstelt. Blut musste nicht notwendigerweise vorhanden sein. Zumindest nicht zu Anfang. Anna ließ die Taschenlampe wieder ins Gras fallen. Später war noch genug Zeit, um die Lichtung abzusuchen. Als die Lampe auf dem Boden landete, stieß Joan einen leisen Schrei aus. Offenbar empfand sie das Beiseitewerfen von Rorys Habe als eine Beleidigung des Besitzers.
    Bei Tageslicht wirkte der Wald längst nicht so bedrohlich wie in der Nacht zuvor. Hier, in höheren Lagen, war das Unterholz weniger dicht. Die Bäume waren hoch und standen weit auseinander. Der Boden dazwischen war mit taillenhohen Farnen bedeckt.
    Die Hoffnung, Spuren des Bären oder des Jungen zu finden, mussten sie bald begraben. Kein Kot, kein Fell, kein Blut. Das große Tier war in seiner Welt untergetaucht wie Meister Lampe in seinem Bau. Rory Van Slyke blieb ebenfalls verschwunden – entweder verschleppt im Maul des Bären oder aus freien Stücken, denn die weichen glatten Sohlen seiner chinesischen Stoffschuhe hätten keine Spuren hinterlassen.
    Anna entdeckte ein seltsames Stück Holz, ein Kantholz aus Mahagoni oder Kirschbaum, etwa dreißig Zentimeter lang und mit abgerundeten Ecken. Da es nicht verwittert war, wusste sie, dass es aus Rorys Zelt stammte. Es wies keine Bissspuren auf, ein Hinweis darauf, dass es nicht der Bär gewesen war, der es in den Wald gebracht hatte. Wozu das Holz diente und warum Rory es auf eine Exkursion mitschleppte oder auf der Flucht vor einem gewaltigen Raubtier zu brauchen glaubte, konnte Anna sich nicht erklären.
    Zwei Stunden lang suchten sie den Wald rings um den Lagerplatz ab und riefen immer wieder Rorys Namen, um den Bären zu verscheuchen, falls er noch in der Nähe war, und um den verirrten oder verletzten Jungen zu einer Antwort zu bewegen.
    Ihre eigenen Geräusche wurden von dem ständigen Geplapper aus Joans Funkgerät unterstützt. Im Park nahm der Alltag seinen Gang. Ein falsch geparkter Pferdetransporter am Nordende, ein Steinschlag östlich der Klagemauer. Doch der Großteil der Funksprüche drehte sich um die Suche.
    Immer wieder fiel die Nummer eins-null-zwei. »Bezirksleiter der Parkpolizei?«, fragte Anna.
    »Der Oberboss persönlich und außerdem der amtierende Parkchef, bis wir einen neuen kriegen.«
    Bezirksleiterin der Parkpolizei war der Posten, den Anna seit ihrer Beförderung und dem Umzug nach Mississippi bekleidete. Wie so häufig im mittleren Management trugen Bezirksleiter eine große Verantwortung, denn es war ihre Aufgabe, Such- und Rettungsaktionen durchzuführen und Straftaten zu ahnden,

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