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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erneuter Seufzer hörte sich an wie ein kleiner Schrei, der auf
dem Weg aus seiner Kehle gefroren war. »Also dann«,
murmelte er, »lass uns sehen, ob wir irgendwo dein … Gasthaus finden.«
    Der Tag nahm kein Ende. Sie waren durch endlose Wüsten aus Eis
marschiert, hatten Orkanböen getrotzt und Messerebenen aus
erstarrter Kälte überwunden, hatten himmelhohe Festungswälle aus
schimmerndem Eis überstiegen und sich durch Wälder aus
nadelspitzen Eisdornen getastet, die Gesichter hinter dem steif
gefrorenen Stoff ihrer Mäntel verborgen und die Lungen voller
brennender Kälte, jeder Schritt eine größere Qual als der vorherige.
Der Himmel über ihnen war unverändert.
Andrej wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren.
    Stunden, die ihm wie Ewigkeiten vorgekommen waren, hatte er
doch bei jedem Schritt das Gefühl gehabt, es wäre der letzte, zu
dem er seine in Flammen stehenden Muskeln zwingen konnte,
und dieser verdammte Himmel hing noch immer so grau und
konturlos und unbeteiligt über ihnen wie im allerersten Moment.
Andrej hatte es auch aufgegeben, den Blick zu heben und nach
einer Sonne zu suchen, die nicht da war. Er wollte die
Gewissheit nicht haben. Der Anblick machte ihm Angst.
    »Ich glaube, ich kann nicht mehr«, sagte Abu Dun neben ihm
… Seine Stimme klang dumpf und rau, fast tonlos, und Andrej
brauchte nicht in sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass der
Nubier mehr als nur ein bisschen erschöpft war. Er versuchte
sich zu erinnern, wann er das letzte Mal ein solches
Eingeständnis aus dem Mund des afrikanischen Riesen gehört
hatte, aber er kam zu keinem Ergebnis. Vielleicht nie.
    »Ich auch nicht«, antwortete er mit einer Offenheit, die ihn
selbst überraschte. »Du musst mich nur darum bitten, und wir
machen eine Pause.« Er versuchte zu lächeln, um Abu Dun
klarzumachen, wie seine Worte wirklich gemeint waren, doch
seine Physiognomie versagte ihm den Dienst. Die Kälte hatte
längst sein Gesicht erstarren lassen; seine Muskeln waren
ungefähr so geschmeidig wie das Eis, über das sie seit Stunden
marschierten.
    Dennoch erfüllten seine Worte den gewünschten Zweck. Abu
Dun starrte ihn so finster an, wie es sein ebenfalls erstarrtes
Gesicht nur zuließ, sagte aber nichts mehr, sondern schürzte nur
trotzig die Lippen (sie waren so spröde vor Kälte, dass sie
aufplatzten und zu bluten begannen) und stampfte so schnell
weiter, dass Andrej plötzlich Mühe hatte, nicht zurückzufallen.
    Allerdings beeilte er sich auch nicht über die Maßen, zu ihm
aufzuholen. Er musste mit seinen Kräften haushalten, und es
bestand kaum die Gefahr, dass er den Anschluss an Abu Dun
verlor. Vor ihnen lag nichts als eine sacht ansteigende Ebene aus
schimmerndem Eis, die irgendwo auf halbem Wege zum
Horizont in einen messerscharf gezogenen Grat mündete, und
über die glitzernde Windhosen tanzten, um die beiden
unwillkommenen Eindringlinge zu verspotten. Er glaubte kaum,
dass der Nubier ihm davonlaufen würde.
    Er tat es auch nicht, sondern wurde im Gegenteil schon bald
wieder langsamer, sodass Andrej ihn einholte, lange bevor sie
den Grat erreichten und erschöpft stehen blieben. Andrej war
fast sicher, dass das ein Fehler war; sie waren mittlerweile beide
in einem Zustand, in dem der Moment abzusehen war, in dem
einer von ihnen (wahrscheinlich er, wie er sich mit
emotionsloser Sachlichkeit eingestand) stehen bleiben und dann
einfach nicht mehr weitergehen würde.
    Und wohin auch?
Andrej hätte vor Enttäuschung aufgestöhnt, wäre es ihm nicht
viel zu anstrengend erschienen, als er neben Abu Dun stehen
blieb und mühsam die Hand hob, um sich Schnee und halb
gefrorene Tränen aus den Augen zu wischen. Es wurde ihm erst
im Nachhinein klar, doch die waagerechte Linie, hinter der sich
der Horizont verborgen hatte, hatte ihm Hoffnung auf das
gegeben, was sich dahinter verbergen mochte, aber dort war …
nichts.
Vor ihnen lag nichts anderes als das, was sie hinter sich
gelassen hatten: Eine schier unendliche Ebene aus erstarrtem
Weiß, übersät von bizarren Skulpturen und zyklopischen
Findlingen, die man tatsächlich für Felsen hätte halten können –
hätten sie nicht das Licht der nicht vorhandenen Sonne
hindurchgelassen und dabei zu Millionen winziger Regenbögen
zersprengt. Aber es gab auch gewaltige Abgründe mit
zerschundenen Rändern, aus denen weißer Dunst emporstieg.
Irgendwo, unendlich weit entfernt, türmten sich gewaltige Berge
vor dem

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