Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
jemandem wirklich Bezauberndem. Jemandem wie dir.«
»Casper, ich –«
»Du weißt, dass das nicht mein richtiger Name ist.«
Die Wärme und die unverhohlene Sehnsucht in seiner Stimme zog mich an. Ich beugte mich näher zu ihm, und unsere Blicke trafen sich.
»Jason«, sagte ich, als er meine Wange berührte.
Und dann war da ein leichter Stromschock, sachte, als würde man von einem Sonnenstrahl geweckt.
Ich sah uns beide, wie wir Hand in Hand den Trank zu uns nahmen und aufwachten. Ich sah uns in seinem Stadthaus, ausgestreckt auf der Couch, meine Füße in seinem Schoß, wie wir einen sonnigen Morgen genossen und uns eine große Tasse Kaffee und die Zeitung teilten. Ich sah, wie er am Klavier »Happy Birthday« spielte und für meine Großmutter sang, während wir alle alberne Hüte auf dem Kopf hatten und ich einen Kuchen mit brennenden Kerzen über meinem leicht gerundeten Bauch hielt. Ich sah, wie das Zimmer seines Cousins neu gestrichen wurde in Blau; ich sah ein Kinderzimmer und einen kleinen, ernsten Jungen mit braunem Haar auf dem Schoß seines Vaters sitzen, mit einem Spielzeug-Keyboard und einem Plüschhasen. Ich sah mich selbst, als alte Frau mit kurzem Haar vor einem Schaufenster stehen, eine runzelige Hand gegen die Glasscheibe gepresst. In dem Laden funkelte ein goldenes Medaillon mit einem Rubin, und Tränen der Reue strömten mir über das welke Gesicht.
»Was ist los?«, fragte er sanft.
Ich merkte, dass meine Wangen nass waren und schüttelte den Kopf. Ich konnte es ihm nicht sagen. Und das war ein Teil des Problems. Aber eine Frage hatte ich noch. »Also, was denkst du, sollte ich tun?«, fragte ich schließlich. »Mal angenommen, ich hätte eine Wahl?«
Darüber musste er nicht mal nachdenken. »Bleib hier bei mir«, sagte er.
Er streckte die Hände über den Tisch aus und ergriff meine Hand. Ein Gefühl wie Platzangst befiel mich, und ich zupfte mit meiner freien Hand an dem schmuddeligen Kragen meines Hemdes.
»Wir können nach London gehen. Es ist die größte Stadt hier, und die sicherste. Unserer Welt am ähnlichsten. Ich mache Musik, und du kannst Wäsche zum Waschen annehmen oder irgendwo in einem Büro arbeiten. Wir sparen uns etwas Geld an und eröffnen ein Dinnertheater. Es ist der amerikanische Traum, nur in einer völlig anderen Welt. Wir können Musicals und Pizza erfinden. Die werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht.«
Ich sah auf unsere Hände auf dem Tisch, die seinen besitzergreifend um meine geschlungen. Mir fiel das Atmen schwer. Vielleicht fühlte ich mich in seiner Nähe nur deshalb schwindelig, weil er mir die Luft nahm. Er hatte schon alles fertig im Kopf; alles was er tat, war lediglich, mich in seine Pläne einzupassen. Doch ich war nicht bereit, mich noch einmal so gefangen nehmen zu lassen, selbst wenn das Angebot auch Glück versprach.
Meine Vision war in vielerlei Hinsicht verführerisch gewesen, und ich hatte dort Dinge gesehen, nach denen ich mich mein Leben lang gesehnt hatte. Dinge, von denen ich – bis jetzt – gedacht hatte, dass ich sie wollte. Wärme, Geborgenheit, Zufriedenheit, Normalität. Es brach mir das Herz, zu wissen, dass ich diesen kleinen Jungen mit dem Plüschhasen nie kennenlernen würde. Aber was mich wirklich bis ins Mark erschütterte, war der Ausdruck auf meinem Gesicht als alte Frau. Der reine Schmerz darin, die Sehnsucht, die Frage, was ich dafür aufgegeben hatte. Diese Version meiner Selbst verstand, was verloren gegangen war, und sie war am Boden zerstört.
Und da wusste ich, wie meine Antwort lauten musste.
Ich entzog ihm meine Hand und ließ sie in meinen Schoß fallen. Dann sah ich ihm wieder in die Augen, die schön und voller Hoffnung und so voller Pläne waren. Ich hasste es, ihn zu enttäuschen.
»Es tut mir leid«, sagte ich ihm. »Aber ich kann das nicht.«
»Warum nicht?«, fragte er und schüttelte verwirrt den Kopf, sodass sein schönes, lockiges Haar um ihn herumwirbelte. Gott, er war so umwerfend. Aber er täuschte sich so, so sehr, was mich anging.
»Ich glaube, ich bin nicht der Mensch, für den du mich hältst«, sagte ich sanft. »Ich will mich nicht festnageln lassen und ich will auch niemand anderen festnageln. Ich will nicht anderer Leute Wäsche waschen oder in einem Büro arbeiten. Ich will keine Angst vor meiner Gabe haben müssen. Ich will nicht mehr nur das tun, was sicher ist, und ich will nicht, dass irgendjemand anderes mir sagt, was ich zu tun habe. Nie mehr. Und ich hasse
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