Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
»Ich brauche mehr Zeit.«
»Nun, ich denke daran«, gab Criminy zurück. »Und ich will es wissen. Wenn du das Medaillon hast, wirst du dann zurückkehren in deine Welt und mich hier zurücklassen mit einem zerbrechlichen, besinnungslosen Körper, der hier dahinwelken und sterben wird? Wirst du das Medaillon zerstören? Wirst du mein Blud nehmen? Oder wirst du hin- und herwandern, ohne je zu schlafen, bis du alt bist oder den Verstand verlierst?«
»Du vergisst, dass ich jetzt auf der Stelle gehen könnte, wenn ich wollte«, erwiderte ich. Da war er und versuchte mich zu einer Entscheidung zu zwingen. Wie konnte er mich so gut kennen und dabei nicht verstehen, was er da tat? »Ich habe den Trank. Ich könnte dich mit mir nehmen oder ihn. Ich habe die Wahl.«
»Ja, die hast du. Und was wirst du wählen?«
Ich wandte mich ab. Ich ließ den Blick über den Horizont schweifen und betrachtete die endlose Graslandschaft, die sich über Hügel und Berge erstreckte, eine Welt, die an den Rändern verschwommen war, und wo der Himmel immer zu tief hing. Hier lag mir eine ganze Welt zu Füßen, und ich hatte erst eine kleine Ecke davon gesehen. Irgendwo, weit jenseits dieser Graslandschaft, wartete ein wundervoller Mann aus meiner eigenen Welt auf mich, erfüllt von Hoffnung, spielte mir vertraute Lieder auf einem Cembalo und sehnte sich nach dem Leben, das er verloren hatte. Und irgendwo, noch weiter weg, wartete Nana, deren Zeit noch sicherer gestohlen wurde als die meine.
»Das kann ich dir jetzt nicht sagen«, antwortete ich.
Er hatte mir drei Wahlmöglichkeiten gegeben, und ich hatte noch zwei hinzugefügt. Aber mir gefiel keine einzige davon.
Doch andererseits – ich hatte die Zukunft schon gesehen, und die wurde mit jeder Vision finsterer.
28.
I rgendwas stimmte da nicht. Wir polterten weiter nordwärts und Criminy wurde immer unruhiger. Jetzt war er regelrecht nervös. Und er legte das Fernrohr nicht mehr aus der Hand, obwohl er das schlingernde Fahrzeug mit einer Hand kaum kontrollieren konnte.
»Was ist los?«, fragte ich, als ich das angespannte Schweigen nicht mehr aushielt.
»Die Wohnwagen stehen immer noch im Kreis. Der Zirkus hat sich nicht von der Stelle bewegt«, erklärte er. »Meine Anweisungen lauteten, dem normalen Zeitplan zu folgen, und nach dem sollten sie längst auf dem Weg nach Liverpool sein.«
Dann konnte ich es auch sehen, die noch weit entfernten Schatten vor dem wolkigen Himmel. Ich verspürte ein überraschendes Gefühl der Heimkehr und dachte an die Bequemlichkeit meines Wagens. Ich vermisste doch tatsächlich die Tapete. Und dann der Gedanke an mein eigenes kleines Wasserbecken, um mich zu waschen, und ein weiches Bett mit Seidendecke … oh, das war der Himmel auf Rädern.
Unglücklicherweise kannte unser Gefährt nur zwei Geschwindigkeiten: Fahren und Halten. Die Reisegeschwindigkeit war komplett von der Spannung des Aufziehschlüssels abhängig, und wir waren kurz vor dem Ende einer Runde, weshalb es quälend lange dauerte, den letzten Hügel zu erklimmen.
Endlich lenkte Criminy unser Gefährt von der Straße und zog die Bremse. Zitternd kam das Ding zum Stehen, und wir sprangen heraus und rannten durch das dichte Gras. Nicht eine lebende Seele war außerhalb der Wagen zu sehen. Es war unheimlich.
Etwas Dunkles bewegte sich über das Moor auf uns zu, und ich sah, wie Criminy schwungvoll den Arm bewegte. Aber er griff nicht nach der Bola oder dem Messer in seinem Stiefel. Er streckte nur den Arm aus, die Handfläche nach oben, und wie ein kupferner Blitz schwang sich Pemberly mit dem Schwanz auf seine Schulter.
»Sitz nicht nur da, Pem. Geh nachsehen!«, befahl er gereizt, und sie schwang sich herab und sauste zum Wagenzug. Es war faszinierend für mich, wie er immer daran dachte, sie einzusetzen. Es war wohl so wie bei meiner Armbanduhr, die ich immer trug, um den Blutdruck eines Patienten zu überprüfen oder die Zeit nachzuschauen. Ich war so daran gewöhnt, Pem auf seiner Schulter zu sehen, dass er auf dem letzten Teil unserer Reise ohne sie ein wenig unvollständig ausgesehen hatte.
Mein kleiner Uro war bisher nur einmal nützlich gewesen, und auch das war allein Criminys Verdienst. In dem verschlossenen Leuchtturm war ich viel zu beschäftigt damit gewesen, mir ins Hemd zu machen, um an die Schlossknackerfähigkeiten meines kleinen Wachroboters zu denken. Das Armband stieß gegen mein Handgelenk, vorläufig nutzlos.
Der Boden rund um die Wagen war zertrampelt. Hier
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