Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
zulaufen.
»Charlie Dregs!«, rief Criminy aus. »Alter Ziegenbock! Wo hast du dich denn versteckt?«
Der junge Bludmann, den ich an meinem ersten Tag unter Emerlies Seil gesehen hatte, hatte nur Augen für Emerlie, aber er schüttelte Criminys Hand und nickte mir höflich zu.
»Ich hab’ Wache gehalten«, sagte er. »Im nächsten Wäldchen.«
»Noch jemand bei dir, Junge?«
»Nee«, antwortete Charlie. »Bloß ich. Musste dafür sorgen, dass Em sicher is. Fiese Copper. War nich’ richtig, was sie gemacht hab’n.«
»Das is’ lieb von dir, Charlie«, sagte Emerlie sanft. »Danke.«
Er lächelte nur und nickte.
Veruca erschien in der Tür, runzelte die Stirn, als sie uns vier vor ihrem Wagen sah, und meinte mit ihrem eigentümlichen Akzent: »Was ist das denn, seltsame Pärchen mit Frühlingsgefühlen? Geht und vergnügt euch anderswo. Dies sind schwere Zeiten.«
Criminy schickte Emerlie und Charlie los, um alle, die noch da waren, zu einem Treffen im Speisewagen zusammenzuholen. Die Pinkies machten sich Sorgen, aber das Essen beruhigte uns ein wenig. Criminy platzierte mich bei Emerlie und ihren Freundinnen und ging los, um nach irgendwelchen Bludmännern zu suchen, die sich noch versteckt halten mochten. Wir brauchten jede Hilfe, die wir kriegen konnten.
Während Emerlie munter drauflosschnatterte, wie ärgerlich es doch sei, dass ihr neues Kostüm noch nicht fertig war, als Mrs Cleavers verschwand, ließ ich den Blick umherschweifen und entdeckte Casper, der allein am anderen Ende des Wagens saß. Er winkte mich zu sich, und ohne ein Wort der Entschuldigung ging ich zu ihm. Emerlie hielt nicht einmal in ihrem Geplapper inne.
»Ich bin heilfroh, dass du sicher zurück bist«, begrüßte er mich mit einem umwerfenden Lächeln. Die Wärme in seinem Blick ließ mich den unangenehmen Verlauf unserer letzten Unterhaltung beinahe vergessen. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Was ist passiert?«
»Es war ganz definitiv ein Abenteuer«, sagte ich und spürte, wie meine Schultern sich lockerten und die Anspannung von mir wich. Er hatte einfach so etwas an sich, es war, als sei man neben einem Filmstar. So, als würde die Sonne nur für mich scheinen, wenn er lächelte. »Wir mussten aus Manchester fliehen, wir sind einem Geist begegnet, ein Seeungeheuer hat mich gebissen, und wir sind mit einem U-Boot gefahren. Du weißt schon, das Übliche.«
»Wenn mein Bücherregal sich übergeben würde, dann wäre Sang das, was dabei herauskäme«, meinte er.
Ich kicherte, wurde aber schnell wieder ernst. Wir hatten nicht viel Zeit, was irgendwie immer der Fall zu sein schien, wenn ich mit Casper zusammen war. Diese goldenen Momente waren nur allzu kurz. Ich musste Klarheit über seine Gefühle haben, bevor Criminy wiederkam.
»Würdest du zurückgehen, wenn du könntest?«, fragte ich ihn.
Die Frage schien ihn zu überraschen, so als hätte er tatsächlich noch nicht darüber nachgedacht. »Das käme darauf an, was mich dort erwartet«, meinte er und betrachtete seine Hände. »Ich würde nicht gelähmt sein wollen oder so etwas. Es spielt keine Rolle, in welcher Welt ich bin, wenn ich nicht Klavier spielen kann. Ohne meine Musik hätte das Leben keinen Reiz. Aber, sicher, ich würde zurückgehen, wenn alles so sein könnte, wie es vor dem Unfall war. Oder noch besser.«
»Und was, wenn du hier bleiben müsstest?«, fragte ich weiter.
Er wusste nicht, was von dieser Unterhaltung alles abhing, aber ich hatte nur ein paar Minuten, um meine Existenzkrise zu lösen und ein paar der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens zu treffen.
»Es gefällt mir hier, wirklich«, sagte er. »Die Regeln hier sind anders. Mir fehlt nur eine Familie, Menschen, um die ich mich kümmern kann, und ich denke, das könnte ich haben, wenn sich alles so entwickelt, wie ich es gerne hätte.« Wieder so ein warmes Lächeln, das mich erröten ließ. »Ich sage vielleicht manchmal das Falsche, aber mein Herz ist am rechten Fleck.«
»Und würdest du dann lieber beim Wanderzirkus bleiben oder in der Stadt leben?«, fragte ich weiter.
»Der Wanderzirkus ist in Ordnung für mich, aber der einzig sichere Ort für Frauen und Kinder ist in der Stadt«, sagte er. »Und manchmal denke ich darüber nach, wie es wäre, dort ein Theater zu haben oder die erste Pianobar zu eröffnen.« Er lachte kurz. »Ich war immer gern auf Reisen. Ein Klavier finde ich überall, und ich sehe keinen Sinn darin, mich festnageln zu lassen, wenn nicht von
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