Blutleer
zwei Stühle. Barbara wartete darauf, dass Hirschfeld zu ihr gebracht wurde.
Er machte einen entspannten Eindruck, nur die Haare hatte er ohne Hilfsmittel nicht so recht bändigen können. Trotzdem sahen sie frisch gewaschen sehr viel gepflegter aus. Barbara bat um zwei Kaffee und stellte das Diktiergerät auf.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte sie. »Sie sind doch krank, haben Sie alle Medikamente, die Sie brauchen?«
Er nickte. »Gestern hat mich hier ein Arzt untersucht, und er hat auch mit meinem Hausarzt gesprochen.«
»Was für Medikamente nehmen Sie?«
»Gegen das Rheuma nur etwas, wenn ein Schub kommt. Und dann etwas für die Leber. Die ist ziemlich kaputt wegen der Medikamente, die ich jahrelang genommen habe.« Er hob einen Fuß an. »Die Zehengelenke sind ganz steif.« Er beobachtete, wie Barbara etwas notierte.
»Es tut weh beim Laufen. Aber ich kann auch längere Strecken gehen, wenn ich will.« Das Thema Krankheit schien ihm nicht so zu liegen.
»Aber Sie sind doch vor fünf Jahren für berufsunfähig erklärt worden«, hakte Barbara nach.
Hirschfeld lächelte. »Ich war Stahlarbeiter. Das war ein richtiger Knochenjob. Da hält sowieso keiner bis fünfzig durch. Und damals kriegte man ja noch sofort die Rente. Heute ist das ja anders.«
Kaffee wurde hereingebracht. Barbara bedankte sich, während Hirschfeld unter Schwierigkeiten mit den mit Handschellen gefesselten Händen Zucker und Milch einrührte und dann einen Schluck nahm. »Der ist gut. Die Gefangenen kriegen nicht so guten.« Er setzte die Tasse ab. »Sie werden also jetzt entscheiden, ob ich verrückt bin«, nahm er das Gespräch in die Hand.
Barbara schüttelte lächelnd den Kopf, ließ sich aber darauf ein. »Dazu wird in meinem Bericht einiges stehen, das stimmt. Aber die eigentliche psychologische Begutachtung wird ein klinischer Psychiater machen. Dazu werden Sie in eine forensische Klinik verlegt. Ich bin zwar Psychologin, aber in erster Linie Kriminalistin.«
»Dann sprechen wir jetzt also über die Morde.«
»Nein. Heute möchte ich, dass Sie mir etwas über Ihre Kindheit erzählen.«
Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Das ist nicht so einfach.« Er schwieg.
»Leben Ihre Angehörigen noch?« Barbara wurde die Pause zu lang. Sie wollte Namen erfahren, Menschen, die Aussagen über ihn machen konnten.
Er schüttelte heftig den Kopf. »Mein Vater ist abgehauen, als ich dreizehn war. Später hörte ich dann dass er gestorben ist.«
»Wann war das?«
»Ich glaube, ich war Anfang zwanzig.«
Barbara konnte sehen, dass das Thema »Vater« unangenehm für ihn war. »Sie hatten kein sehr gutes Verhältnis zu ihm, oder?«
»Er hat mich geschlagen, solange ich denken kann. Er hat auch getrunken. Wir lebten in einer Bergmannssiedlung, hatten Kaninchen und Hühner und manchmal Schweine. Wenn er die Tiere schlachtete, musste ich immer zusehen.«
»Nur Sie?«
»Meine Geschwister auch.«
Barbara runzelte die Stirn. »Und die leben auch nicht mehr?«
»Meine Schwester ist vor zwei Jahren an Krebs gestorben. Und mein Bruder war achtzehn Jahre älter als ich. Der ist auch schon tot.«
»Bleibt noch Ihre Mutter.«
»Die hat sich nicht um mich gekümmert, als der Alte weg war. Er hat sie verprügelt, aber sie hing an ihm. Sie hat es nicht verkraftet, dass er weg war, hat auch angefangen zu saufen und den ganzen Tag nur im Bett gelegen. Ich war der Jüngste, die anderen waren schon aus dem Haus, und da hat man erwartet, dass ich mich um sie kümmere. Ich bin dann abgehauen, ich hielt ihr Gejammer nicht mehr aus.« Er starrte für einen Moment auf einen Punkt, der in weiter Ferne zu liegen schien. Aber Barbara musste ihn nicht zurückholen, er redete von allein weiter. »Ich bin gelernter Binnenschiffer, wissen Sie. Immer den Rhein rauf und runter. Aber in den 70ern sind viele Partikuliere Pleite gegangen, da hatte ich dann Glück, noch einen Job bei Thyssen zu bekommen. Ein paar Jahre später wäre auch das schwierig geworden.«
Als er von der Binnenschifffahrt sprach, hatte Barbara den Eindruck, dass seine Augen kurz aufgeleuchtet hatten. »Sie mochten das Herumreisen, nicht wahr?«
Er nickte. »Das war eine schöne Zeit. Harte Arbeit, ja. Aber immer auf dem Wasser. Ich habe vom Rhein aus die Häuser am Ufer beobachtet.«
»Nur die Häuser?« Barbara lächelte ihn aufmunternd an.
»Na ja, irgendwann kannte man die bestimmten Häuser, wo die Frauen schon mal nackt herumliefen oder ein Pärchen bei hell
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