Blutleer
ab, ob er noch etwas dazu zu sagen hatte. »Ich muss los.« Sie nahm ihre Auto-und Haustürschlüssel von der Hakenleiste im Flur und verließ das Haus.
Unterwegs hatte sie an einer Tankstelle gehalten und sich einen Mitnehmkaffee und ein Sandwich besorgt, das sie nun in die Besprechung mitbrachte. Jeder, von Heinz informiert, hatte auf dessen Rat hin noch mindestens einen Kollegen mitgebracht. Im Besprechungsraum waren fast alle Plätze besetzt, nur vorn in der ersten Reihe wollte wie üblich keiner sitzen, lediglich Sven Heyer und der Staatsanwalt hatten dort Platz genommen.
Jakubian stellte sich kurz vor und dankte den Anwesenden für ihr Kommen. Er ließ Sven den Vortritt bei der Schilderung von Hirschfelds Erscheinen und seinem Geständnis auf dem Präsidium. Dann bat er Barbara nach vorn, um ihren ersten Eindruck zu schildern.
»Wir haben es hier mit einem relativ alten Täter zu tun, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er sexuelle Motive für seine Taten hat und zwar nicht in dem Sinne, dass er Geschlechtsverkehr sucht, sondern dass er seine Befriedigung ausschließlich aus dem gewaltsamen Tötungsvorgang zieht. Ein genaueres Bild über Motive und Auslöser müssen wir uns noch machen.« Sie blätterte in ihren Notizen. »Das Fehlen einer gemeinsamen Mordmethode, die völlige Willkür beim Aussuchen der Opfer, die so gar keine Gemeinsamkeiten haben, wirft natürlich Fragen auf. Wenn wir es wirklich mit einer Serie zu tun haben, dann deuten diese Umstände darauf hin, dass er eigentlich keinen Wert darauf legt, entdeckt zu werden. Andererseits scheint Hirschfeld sehr begierig darauf zu sein, mit seinen Taten in der Öffentlichkeit zu stehen. Die Tatsache, dass er nicht abgewartet hat, bis er geschnappt wurde, sondern sich gestellt hat, spricht dafür. Aber wie gesagt, es braucht noch eine lange Reihe von Gesprächen und Untersuchungen, bis wir da Klarheit haben.«
»Danke, Barbara.« Jakubian wartete, bis sie sich wieder gesetzt hatte. »Machen wir jetzt mit den Ergebnissen der einzelnen Mordkommissionen weiter. Ich schlage vor, chronologisch. Zu den Fällen 1 und 2, die wir erst seit vorgestern kennen, können wir noch nicht viel sagen. Der erste bekannte Fall ist der Mord an Rebecca Langhorn in Düsseldorf. Herr Kramer, würden Sie das bitte übernehmen?«
»Danke, Barbara?«, flüsterte Heyer ihr zu, als sie wieder neben ihm saß. »Das ging aber schnell.«
»Ja, dank Heinz.«
Sven ging ein Licht auf. »Heinz hat die Leute also zusammengerufen.«
»Sei still.«
»Weiß Jakubian überhaupt, was du da für ihn getan hast?«
»Es geht nicht um Jakubian, sondern um den Fall.«
Lutz Kramer aus Düsseldorf, den Barbara auch schon jahrelang kannte, begann seinen Vortrag. Rhetorisch war er nicht brillant, aber er hatte ein Händchen dafür, die wesentlichen Fakten knapp und doch schlüssig zusammenzufassen. Das meiste las er ab. Rebecca Langhorn war Mitte November verschwunden und von den Kollegen der Werbeagentur, in der sie arbeitete und an der sie auch beteiligt war, nach einer Woche als vermisst gemeldet worden. Wie üblich bei Erwachsenen unternahm die Polizei praktisch nichts. Besondere Umstände, die auf ein Verbrechen hindeuteten, gab es nicht. Eine weitere Woche später wurde ihre Leiche in einem Gebüsch abseits des Bahngeländes am Werhahn gefunden. Sie war nackt, und der gesamte Körper war blutverkrustet, es gab Spermaspuren auf ihrem Bauch, aber nicht in ihrer Scheide. Erst als man das Blut auf dem Obduktionstisch abgewaschen hatte, konnte man sehen, dass praktisch jeder Quadratzentimeter ihrer Haut von kleinen, mal oberflächlichen, mal tieferen Schnitten übersät war. Sie stammten eindeutig von Rasierklingen – insgesamt zwei davon waren abgebrochen und im Körper verblieben. Die Todesursache war indes nicht ein direkter Mord: Die starke Raucherin und Bluthochdruckpatientin Langhorn war trotz ihrer relativen Jugend an einem durch Schock bedingten Herzinfarkt gestorben.
Barbara machte sich Notizen. Während der Täter bei dem Würgemord an der alten Frau in Bochum noch ohne großes Blutvergießen ausgekommen war, musste das Zertrümmern des Schädels seines nächsten Opfers diesen Schlüsselreiz hervorgerufen haben. Die vielen blutenden Wunden der Rebecca Langhorn verschafften ihm dann weitere Befriedigung. Warum hatte er der Prostituierten den Schädel zertrümmert? Was war der Auslöser für die extreme Gewalt gewesen?
Nachdem Kramer die vielen vergeblichen Spuren im Fall
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