Blutleer
er entschieden hatte, sie hinzuzuziehen. »Ich komme schon klar.«
»Ich habe allerdings den Eindruck, dass dich das mehr mitnimmt als es sollte. Du machst einen … einen depressiven Eindruck.«
Damit lag Jakubian keineswegs falsch. Aber es waren nicht Hirschfeld und die Fälle. Barbara war jeden Tag dankbar dafür, die Villa in Richtung Untersuchungsgefängnis verlassen zu können. Inzwischen hatte sie sich im Gästezimmer häuslich eingerichtet. Sie vermied es sogar, ins Arbeitszimmer zu gehen, und arbeitete stattdessen mit ihrem Laptop an dem zierlichen Biedermeier-Schreibtisch, der irgendwann, nachdem Annette wieder einmal ihr Wohnzimmer komplett umgestylt hatte, hier hineingewandert war.
Sie ging Thomas aus dem Weg, so gut sie es vermochte, aber sie wusste, auf Dauer konnte es so nicht weitergehen. Manchmal fragte sie sich, warum sie Thomas nicht einfach verzeihen konnte. Er hatte die Affäre beendet und sich für sie entschieden. Hatte er nicht eine Chance verdient, ihr Vertrauen wieder zu gewinnen?
Aber wenn sie in seiner Abwesenheit die Wohnung unten betrat und sich zu erinnern versuchte, wann es das letzte Mal wirklich schön in ihrer Beziehung gewesen war, wann sie sich nahe gewesen waren, wann sie wirklich leidenschaftlichen und hingebungsvollen Sex miteinander gehabt hatten, musste sie zugeben, dass sich seit der Transplantation alles verändert hatte. Vorher war Thomas immer da. Er war sehr krank, aber für Barbara war er der Starke, derjenige, an den sie sich anlehnen konnte. Jetzt, wo er körperlich wieder leistungsfähig war und auch mit Recht sein eigenes Leben lebte, fühlte sich Barbara allein gelassen. Er hatte ihr den Rückhalt genommen, den sie in ihrem belastenden Job so dringend brauchte.
»Barbara? Hörst du mir zu?« Jakubian hatte sich nach vorn gelehnt und ihre Hand berührt. Seine dunklen Augen sahen direkt in ihre, als er sie aus ihren Gedanken aufschreckte.
»Es hat nichts mit dem Job zu tun«, sagte sie leise und sah nach unten. »Ich … ich habe Probleme zu Hause. Es klappt nicht so toll in meiner Ehe. Deshalb geht es mir nicht so gut.«
Er nickte, ließ ihre Hand aber nicht los. »Ich weiß, wie das ist. Möchtest du darüber reden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Im Moment ist alles in einer Art Schwebezustand.«
»Ändere das. Das tut keinem gut.« Er ließ ihre Hand los und wurde wieder geschäftlich. »Glaubst du, dass du diese Woche fertig wirst mit Hirschfeld? Die Forensik scharrt schon mit den Füßen. Oder sollen wir dir mehr Zeit verschaffen? Das geht ohne weiteres.«
Barbara dachte kurz nach. »Ein paar Tage mehr wären schon ganz gut. Er lässt sich nicht gern hetzen, wenn er sich in grausigen Details ergeht. Diejenigen, die die Bänder abtippen, müssen schon traumatisiert sein.«
»Ich denke, das wird sich schon einrichten lassen.«
Barbara sah, dass Jakubian verstohlen gähnte. »Wie viele Stunden hast du letzte Nacht geschlafen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Gestern gab es eine Podiumsdiskussion in Dortmund zum Thema Bestrafung von Sexualstraftätern. Es ist sehr spät geworden. Der halbe Saal war voll mit wütenden Türken, die Hirschfeld am liebsten lynchen würden – und wenn sie ihn nicht bekommen können, dann stellvertretend mich, weil ich zu denen gehöre, die sie daran hindern. Fatma stammte aus einer recht traditionellen Familie.«
Barbara schüttelte verständnislos den Kopf. »Warum tust du dir so etwas an? Manchmal denke ich, du hast eine masochistische Ader. Du musst doch nicht da hingehen.«
Er lächelte müde. »Solange sich der Volkszorn kontrolliert über mich ergießt, haben wir keine anderen Probleme. Vor allem ihr bei eurer Arbeit nicht.«
Barbara stand auf. »Ich fahre jetzt nach Hause. Und das solltest du auch tun. Schlaf mal acht Stunden durch, und mach dein Handy ausnahmsweise aus. Oder noch besser – stell es auf Heyer um.« Sie grinste. Die beiden waren sich immer noch nicht grün.
»Weißt du, mein jetziges Zuhause ist mehr als provisorisch. Ein hässliches Einraumapartment voller Sperrmüll und Küchengeräten, die nicht richtig funktionieren. Mehr konnte ich mir in der Messestadt Düsseldorf nicht leisten. Und das Bett ist zu schmal und zu kurz.«
Barbara zuckte die Schultern. »Das war nur ein Rat. Du musst ihn ja nicht befolgen.« Sie ging und konnte spüren, dass er ihr nachsah.
Auf dem Flur begegnete sie Sven Heyer. »Hallo! Irgendetwas Neues?«
»Nein. Und bei dir? War es schön, das Händchenhalten mit
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