Blutleer
vorstellen? Das ist Katharina, Thomas’ Geliebte.«
»Ex-Geliebte«, sagte Thomas leise.
»Mein Gott, das Mädchen ist ja total verdreckt.« Barbara hatte an Annette immer bewundert, dass in Krisensituationen stets ihr Sinn fürs Praktische siegte. Diesmal fand sie das fehl am Platze. Am liebsten hätte sie die junge Frau auf der Stelle hinausgeworfen.
»Stecken wir sie in die Badewanne«, entschied Annette.
Thomas ließ Wasser ein und die eben noch tobende Katharina ließ sich von ihm an die Hand nehmen und ins Badezimmer bringen. Barbara und Annette folgten den beiden.
»Und jetzt raus mit dir, mein Sohn. Das ist Frauensache.« Annette schob Thomas hinaus, und gemeinsam entkleideten sie Katharina. Ihre Sachen waren verschmutzt, Barbara vermutete, dass sie eine ganze Weile auf der Straße gelebt hatte.
»Wirf alles weg und hol etwas von dir, das müsste ihr passen.« Annette hatte Recht, Katharina, obwohl um einiges größer als Barbara, war erschreckend dünn.
Als sie wieder zurück ins Badezimmer kam, hatte Annette Katharina bereits überredet, in die Wanne zu steigen, und wusch sie wie ein Kind. »Ich kann verstehen, wenn du nicht helfen willst, Barbara.«
»Nein, schon gut.«
Katharina war völlig apathisch und ließ alles willenlos geschehen. Unter dem Schmutz und den wirren Haaren kam ein sanftes Madonnengesicht zum Vorschein. Sie war wirklich sehr schön, auch wenn ihre Gesichtszüge durch das Untergewicht herber wirkten.
»Sie schläft wohl besser im Gästezimmer«, meinte Annette leise.
Barbara nickte ergeben. Eine Nacht neben Thomas würde sie schon verkraften.
Thomas wartete vor der Badezimmertür. »Hallo, Thomas.« Das war das Erste, was Barbara von Katharina hörte. Es war eine Kinderstimme, leise, zart, zerbrechlich.
Annette nahm Katharina bei der Hand und führte sie nach oben. »Ich werde heute Nacht unten schlafen«, sagte Barbara knapp.
»Soll ich in den Wintergarten …?«
Barbara schüttelte den Kopf. »Ich bin sowieso viel zu müde, um dich zu bemerken.«
Thomas war anzusehen, dass er diesen Satz verletzend fand, er sagte aber nichts dazu.
»Ich gehe unter die Dusche.«
»Hast du schon was gegessen?«, fragte er.
Sie verneinte und verschwand im Bad. Sie blieb lange unter der Dusche, als könne das Wasser das Geschehene wegwaschen, aber wirkliche Entspannung brachte ihr das nicht. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um das zerbrechliche Püppchen, das Annette gerade oben ins Bett brachte. Ja, darauf war Thomas natürlich angesprungen. Er hatte Frauen schon immer gern gerettet und umsorgt. War sie damals, als er sie ohne Geld und hungrig in einer Düsseldorfer Kneipe aufgelesen hatte, in seinen Augen auch so ein Püppchen gewesen?
Als sie zurückkam, hatte er ein Abendessen aus Resten gezaubert: ein Stückchen Schweinefilet, etwas Salat, ein paar Nudeln. Er öffnete gerade eine Flasche Rotwein.
»Barbara, es tut mir Leid. Damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Das kann ich mir vorstellen. Thomas, die Kleine ist nicht nur depressiv, obwohl das allein schon ein Grund wäre, sie in professionelle Hände zu geben. Sie ist offensichtlich besessen von dir und bereit, eine Menge zu tun, um deine Liebe zu erpressen.«
Er sah sie nicht an. »Ich … ich hatte ja keine Ahnung.«
»Nein, du wolltest dich nur um eine verlorene Seele kümmern, das glaube ich dir sogar, jetzt, wo ich sie gesehen habe. Wahrscheinlich wäre es genauso weit gekommen wie jetzt, auch wenn du nicht mit ihr geschlafen hättest. Sie gehört in die Psychiatrie, das ist dir doch klar?« Barbara hatte die Gabel aus der Hand gelegt und zwang ihn, sie anzusehen.
»Du musst mit ihr reden, Thomas. Wir könnten sie zwar einweisen lassen nach dem Angriff auf mich heute Abend, aber besser wäre, wenn sie freiwillig nach Grafenberg ginge.«
»Grafenberg? Könnte nicht irgendein Therapeut …?«
Barbara schüttelte heftig den Kopf. »Sie ist eine Gefahr für sich und andere. Möchtest du die Verantwortung dafür übernehmen und sie jede Minute überwachen?«
»So schlimm ist es, meinst du?«
»Ja, so schlimm! Sie hat sich mehrere Wochen auf der Straße herumgetrieben, nur um dich zu bestrafen. Ich nehme an, als du sie das letzte Mal gesehen hast, wog sie noch einige Kilo mehr?«
Thomas nickte stumm.
»Sie würde sich auch umbringen, um dich zu bestrafen.«
»Ich gehe rauf zu ihr und rede mit ihr. Dann bringen wir sie morgen früh hin.« Er stand auf.
Barbara schob den Teller weg. Sie hatte plötzlich keinen Hunger
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