Blutleer
dann kommt es wieder hoch: die Veränderungen der letzten Zeit. Es ist leicht zu sagen, die Transplantation hat alles verändert. Aber das stimmt nicht. Nicht nur er, auch ich habe mich verändert.«
Jakubian ging zu dem Sessel auf der anderen Seite des Tisches. Sein Blick fiel auf das Buch, und er nickte viel sagend. »Barbara, ihr seid nicht die Ersten, denen so etwas passiert, und ihr werdet nicht die Letzten sein. Mir ist es auch passiert. Es waren fünfzehn Jahre, in denen ich glaubte, alles sei in bester Ordnung. Und dann verwandelte es sich schleichend in eine Hölle.«
»Bist du deshalb weg aus Hannover?«
»Indirekt. Ja.«
Sie merkte, dass er nicht darüber reden wollte. »Weißt du, Ruben, noch vor ein paar Jahren hätte ich zwar sicher wegen einer zerbrochenen Beziehung getrauert, aber ich wäre klar gekommen. Die Nähe, die ich zu Thomas habe, hatte ich vorher nie zugelassen. Aber jetzt habe ich Angst davor, ohne sie zu leben.«
»Gibt es die Nähe denn noch?«, fragte er. Es tat ihr weh, aber sie merkte auch, dass er nicht nur von ihr und Thomas sprach. Sein Blick war einen Moment abgeschweift, jetzt war er wieder ganz bei ihr. »Meine Erfahrung ist: Wenn man aufwacht, ist die Nähe längst schon fort, und man wundert sich, wie breit und wie tief der Graben zwischen sich und dem Partner ist.« Er sah zu der altmodischen Wohnzimmeruhr. »Halb vier. Lass uns sehen, dass wir noch etwas Schlaf bekommen.« Er stand auf und ging zur Tür.
»Jakubian?« Barbara nannte ihn seltener als andere Kollegen nur beim Nachnamen.
»Ja?« Er drehte sich um.
»Du solltest nicht immer mit deinem Gewicht kokettieren. Du siehst gut aus.«
»Na ja.« Er tätschelte den kleinen Bauch.
»Wie ist das?«, fragte Barbara. »Die große Fünf, das ist doch im nächsten Jahr, oder? Die meisten Fünfzigjährigen schleppen mehr mit sich herum als du.«
»Ich bin ja auch noch nicht fünfzig«, sagte er mit großem Ernst, zwinkerte dann aber kurz und verschwand auf der Treppe.
6.
Die Zahl der Reporter, die das Gefängnis belagerten, war nicht kleiner geworden. Barbara fragte sich, ob es immer noch eine undichte Stelle irgendwo gab. Wenn es der Justizbeamte Ulf Maier gewesen war, dann hatte Jakubian das sicher inzwischen abgestellt.
Sie dachte lächelnd an das Frühstück in Heinz’ Küche am Morgen. Die Mengen Spiegelei, die die beiden Männer verdrückt hatten, während Barbara an ihrem Käsebrot knabberte! Gesprochen hatten sie natürlich über den Fall.
Dies würde nun für lange Zeit Barbaras letzte Begegnung mit Hirschfeld sein. Sie war gespannt, ob der Gutachter in der Klinik irgendwann Kontakt zu ihr aufnehmen würde. Nach der Veröffentlichung ihrer damals Aufsehen erregenden Doktorarbeit über Serientäter hatten die klinischen Psychiater ihr eher skeptisch gegenübergestanden, doch im Laufe der Zeit hatte sie sich auch deren Respekt erarbeitet. Aber immer noch nahmen einige ihr ihre Zweifel an der Therapierbarkeit einiger Persönlichkeitsstörungen übel und sprachen ihr als Psychologin und Kriminalistin ohne medizinischen Hintergrund die Kompetenz schlicht ab.
Hirschfeld war guter Dinge an diesem Morgen, das merkte sie gleich. Das Veilchen begann bereits, bunt zu schillern, aber das Auge war gegenüber ihrer letzten Begegnung doch sehr abgeschwollen.
Barbara drückte den Knopf des Diktiergerätes.
Hirschfeld sah sie erwartungsvoll an.
»Zunächst würden wir gerne wissen, wo genau auf dem Gelände in Styrum Sie Julia ermordet haben.«
Er lehnte sich lässig zurück. Barbara kannte das schon. Das war die Vorfreude, jetzt doch noch die Einzelheiten von Julias Ermordung erzählen zu können. »Also, es nach der Zeit noch zu beschreiben … Wenn ich dort wäre, dann …«
»Für einen Lokaltermin ist keine Zeit mehr. Also? War es in der Nähe vom Tatort Herborn? Oder näher beim S-Bahnhof?«
»Irgendwo dazwischen. Ich weiß es wirklich nicht mehr genau. Aber da waren keine Schienen mehr.«
Barbara schob ihm einen Zettel und einen Stift hin. Sie malte den S-Bahnhof auf, die vielen Schienen, die daran vorbeiführten. Die Mauer, an der Herborn gefunden worden war. »Wo etwa?«
Er nahm den Stift, machte ein Kreuz, überlegte kurz und machte ein zweites, dann zog er einen Kreis herum. »So etwa da. Ich weiß es wirklich nicht mehr genau.«
Es war immer noch ein großes Terrain, aber Barbara beließ es dabei. Er war zu erpicht auf einen Ausflug nach Styrum als dass sie Genaueres darüber herausbekommen
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