Blutleer
wieder nach oben«, hörte Barbara Thomas sagen.
»Ich habe mich da oben allein gefühlt.« Da war wieder die Kleinmädchenstimme.
»Ich – ich komme gleich zu dir – aber bitte, geh jetzt wieder.«
»Geht sie weg?«
»Katharina, bitte.«
Aber Katharina ließ sich nicht bitten. Barbara machte entschlossen den Koffer zu und stellte ihn in den Flur. Urplötzlich wurde ihr klar, dass ihre heute Morgen noch so kraftvolle Drohung sich gerade in eine Niederlage verwandelte. Sie ließ sich von Katharina aus ihrem Haus vertreiben.
Barbara biss die Zähne zusammen und ging ins Arbeitszimmer, um ihr Notebook zu holen. Sie warf ein paar CD-Roms in die Tasche, kontrollierte, ob alle Kabel und das Netzgerät vorhanden waren und packte dann den Computer ein.
»Barbara!«, setzte Thomas noch mal an. »Lass uns bitte reden.«
»Du hast ja jemanden zum Reden.« Barbara gelang es gerade noch, diesen kurzen Satz herauszubringen. Ein weiteres Wort und sie wäre in Tränen ausgebrochen. Sie schulterte die Notebooktasche, griff dann im Flur nach der Handtasche und zog schließlich den Griff aus dem Trolley.
Thomas kam hinter ihr her. »Ich habe noch vergessen, dir etwas zu sagen. Übermorgen habe ich einen Termin bei der Eheberaterin festgemacht. Ihr Name ist Gisela Schacht, auf der Steinstraße. Sechzehn Uhr. Barbara, hast du gehört? Übermorgen, sechzehn Uhr.«
Ohne eine Antwort verließ sie das Haus, rumpelte mit dem Trolley die Eingangstreppen hinunter und die gepflasterte Auffahrt entlang zu ihrem Wagen, warf Koffer und Notebook hinein und fuhr los.
Barbara war einfach drauflos gefahren, ohne zu überlegen. Sie wusste ja auch gar nicht, wohin sie eigentlich wollte. Bis zu dem Zeitpunkt, als ihr klar wurde, dass Katharina das Haus nicht verlassen hatte, war ihr der Gedanke, ihre Drohung in die Tat umsetzen zu müssen, gar nicht gekommen. Und jetzt weinte sie am Steuer. Eigentlich hätte sie anhalten müssen, aber irgendwie war ihr die Vorstellung, dass sie an einem Baum landen könnte, herzlich egal. Ohne es zu merken, war sie den täglichen Weg nach Duisburg gefahren, immer die alte B 8 entlang. Die Auffahrt zum Zubringer zur A 59 hatte sie jedoch verpasst.
Die Ampel war rot und die Straße leer, sie hätte noch einmal zurücksetzen können. Für einen Moment schoss ihr der Gedanke, in ein Hotel zu gehen, durch den Kopf. Und warum nicht in Duisburg? Doch dann schüttelte sie das nächste Schluchzen. Nein. Sie wollte heute Abend nicht allein sein. Und so fuhr sie kurzerhand auf die B 288 in Gegenrichtung, überquerte die Uerdinger Rheinbrücke und versuchte, von dort nach Rheinhausen zu finden.
Nachdem sie sich etliche Male verfahren hatte, hatte sie schließlich doch zu Heinz gefunden. Inzwischen weinte sie zwar nicht mehr, aber schon wieder mehr oder minder aufgelöst vor Heinz’ Tür zu stehen, war ihr doch etwas peinlich. Sie nahm Koffer und Laptop aus dem Auto und klingelte.
»Barbara!« Heinz schien sehr überrascht. Dann sah er den Koffer. »Was ist los?«
»Kann ich bei dir übernachten?«
Heinz zögerte. »Ich habe Besuch.« Und dann erschien hinter ihm im dunklen Flur eine große Silhouette, die Barbara gleich erkannte. Sie ärgerte sich, dass sie den BMW vor der Tür nicht bemerkt hatte.
»Ach, du bist es, Ruben.«
»Komm rein«, seufzte Heinz. Die beiden waren bei einem deftigen Abendessen, auf dem Tisch standen zwei dampfende Teller mit Eintopf.
»Möchtest du auch etwas?«, fragte Heinz. Jakubian hatte ihr den Koffer abgenommen.
Barbara schüttelte den Kopf. Bohnensuppe war ihr ein Gräuel.
»Dann mach ich dir ein Brot.«
»Ich glaube, ich habe keinen Hunger.«
»Vielleicht erzählst du erst mal, was eigentlich passiert ist.« Das waren die ersten Worte, die Barbara von Jakubian hörte.
Sie setze sich, sah den beiden beim Essen zu und berichtete. Erstaunlicherweise kamen ihr nicht mehr die Tränen dabei, sie hatte sich auf der Fahrt wohl ausgeweint.
»Da habe ich mir selbst ein Bein gestellt und das Feld für dieses – dieses Püppchen geräumt«, schloss sie.
Heinz schüttelte den Kopf. »Das war schon richtig, konsequent zu sein und nicht dort zu bleiben. Ehrlich gesagt, verstehe ich Thomas auch nicht. Denn so, wie du sie schilderst, scheint sie sich wirklich zu gefährden.«
»Nicht nur das«, meinte Jakubian. »Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sie auch andere gefährdet.«
Barbara seufzte. »Ich glaube, Thomas denkt, ich würde übertreiben, weil ich ständig mit Psychopathen
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