Blutleer
endgültig?« Thomas blickte auf den Boden.
»Thomas, ich will dich doch nicht erpressen. Ich finde es nicht prickelnd, dass du die Kraft nicht aufbringst, zu tun, was getan werden muss. Aber ich verstehe es und biete dir meine Hilfe an. Deine Mutter hat mich auch schon darum gebeten.«
»Hat sie das?« Er seufzte. »Ja, ich will, dass Katharina geholfen wird. Ich kann das ja offensichtlich nicht.«
»Gut.«
Entschlossen stieg Barbara die Treppe hinauf und öffnete die Tür des Gästezimmers. »Hallo Katharina.«
Katharina sah sie erschrocken an. Mit ihr hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. »Er will Sie nicht mehr. Er will mich«, sagte Katharina leise, aber keinesfalls mit der kindlichen Stimme, die sie immer bei Thomas hervorholte, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
»Sie brauchen Hilfe, Katharina. Sie müssen in eine Klinik und zwar schnell.«
Katharina setzte sich, als wollte sie demonstrieren, wo sie in der nächsten Zeit sein wollte. »Thomas sagt, ich kann es mir überlegen, solange ich will.«
»Ja, das sagt er. Aber ich bin seine Frau, das Haus hier gehört mir wie ihm, und ich will Sie hier nicht haben.« Barbara wunderte sich, wie ruhig sie war. Aber irgendwie hatte sie das gleiche Gefühl, als rede sie mit einem inhaftierten Mörder. Das war die professionelle Barbara, die hier sprach.
»Das hat Thomas zu entscheiden.« Katharina kannte ihre Macht über Thomas recht gut, schließlich hatte sie ihn eben noch eingewickelt.
»Nein, das habe ich zu entscheiden. Sie wissen, was ich von Beruf bin?«
Katharina schüttelte langsam den Kopf.
»Ich bin Polizistin und Psychologin. Ich kenne so gut wie jeden Polizisten in Düsseldorf persönlich. Neulich abends haben Sie mich tätlich angegriffen. Wenn Sie also nicht freiwillig nach Grafenberg gehen, dann lasse ich Sie zwangseinweisen. Das geht ganz schnell, da brauche ich nur mit dem Finger zu schnippen.«
Auf Katharinas Gesicht erschien eine Spur von Angst, doch sie verschwand schnell wieder: »Das würde Thomas nie zulassen.«
»Und ob. Glauben Sie, er möchte mit einer gefährlichen Psychopathin unter einem Dach leben?«
»Ich bin keine Psychopathin!«
»Sie sind eine, wenn ich sage, dass Sie eine sind. Psychopathen sind mein Spezialgebiet, und jeder wird meine fachliche Meinung respektieren. Haben wir uns verstanden?« Barbara öffnete die Tür. »Gehen Sie nach unten. Sofort.«
Katharina tat, was ihr gesagt wurde. Barbara stand noch einen Moment in der Tür und atmete tief durch. Erst jetzt bemerkte sie Annette, die wohl schon eine Weile im Flur gestanden hatte.
»Gut gemacht«, sagte sie und verschwand in ihrem Schlafzimmer.
Als Barbara nach unten kam, hockte Katharina tränenüberströmt auf dem Sofa. Thomas stand hilflos daneben. »Das lässt du doch nicht zu, Thomas, du zwingst mich doch nicht wegzugehen?«
Thomas sah Barbara an. »Hast du ihr gesagt, du lässt sie zwangseinweisen?«
»Ja. Aber sie kann ja freiwillig gehen. Es ist ihre Entscheidung. Und es macht einen großen Unterschied, ob man sie dann so oder so in der Klinik behandelt.«
Thomas kniete sich vor Katharina hin und zwang sie, ihn anzusehen. »Barbara will nur dein Bestes, Katharina. Du brauchst Hilfe, und ich kann sie dir nicht geben. Darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich werde dich dort besuchen, das verspreche ich dir.«
Katharina hörte langsam auf zu schluchzen. »Du willst wirklich, dass ich dorthin gehe? Nicht nur, weil sie es will?«
Er zögerte kurz, und Barbara befürchtete, er würde es sich wieder anders überlegen. Aber dann sagte er fest: »Ja. Du musst.«
Er stand wieder auf. »Ich fahre sie selbst.«
»Ich komme mit«, sagte Barbara. »Nur für alle Fälle.« Ihr Blick fiel auf den Aktenstapel. Das musste warten.
Barbara hatte noch knappe neunzig Minuten, um die Akten durchzugehen. Zum ersten Mal seit ihrem Auszug saß sie wieder an ihrem gewohnten Arbeitsplatz, doch sie konnte sich kaum auf die Arbeit konzentrieren. Ab und an biss sie in ein Brot, dass Thomas ihr gebracht hatte.
Auf der Fahrt nach Grafenberg war Katharina sehr gefasst gewesen. Aber dort, während der Aufnahme, hatte sie dann herumgetobt und behauptet, man hätte sie gegen ihren Willen hergebracht. Sie warf sich auf den Boden und umklammerte Thomas’ Knie wie ein kleines Kind. Bei diesem Verhalten hätte einer Zwangseinweisung nichts im Wege gestanden. Der Arzt, den Barbara gut kannte, kreuzte dennoch »freiwillig« an, weil Barbara ihn darum bat.
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