Blutleer
seine Stimme, und die aufgekommene Unterhaltung verstummte. »Das hier hätte für die meisten der erste freie Tag seit Wochen sein sollen. Jetzt haben wir fast zehn Uhr. Ich schlage vor, jeder geht nach Hause und schläft sich wenigstens mal richtig aus. Morgen um neun geht es wieder weiter.«
Während alle den Raum verließen, blieb Jakubian auf einem Stuhl in der ersten Reihe sitzen. Er sah erschöpft aus. Barbara ging zu ihm. »Du solltest dich auch ausschlafen.«
Er lächelte müde. »Du weißt doch, ich habe kein Privatleben.«
Sie setzte sich neben ihn. »Tut mir Leid, wenn ich dich damit verletzt habe.«
Er schüttelte den Kopf. »Du hast ja Recht damit.«
»Und wo ist dein Privatleben? In Hannover?«
»Das war mal.« Er stand auf. »Ich würde gern noch was trinken, hättest du Lust?«
Eigentlich wäre Barbara gern nach Hause gefahren, aber sie spürte, dass Jakubian nach der schweren Arbeit der letzten Wochen und dem Drahtseilakt, den er jetzt probierte, dringend Gesellschaft brauchte. »Lass uns in Richtung Innenstadt gehen, da finden wir vielleicht was.«
Sie gingen immer die Hauptstraße entlang und landeten schließlich im
Schacht 4/8
, einem Brauhaus an der Düsseldorfer Strasse. Es schmückte sich mit vielen Bergbaugegenständen, und eine Biersorte hieß »Grubengold«, darüber hinaus waren die Räumlichkeiten imponierend hoch, mit prachtvoll getäfelten Decken und Wänden, denn – so stand es in den informativen Karten –, in diesem Gebäude war früher einmal die Landeszentralbank untergebracht gewesen.
Barbara war sich sicher, dass einige Gäste Jakubian, seiner häufigen Präsenz im Fernsehen wegen, erkannten. Sie suchten sich ein Plätzchen auf der Galerie, in der Hoffnung, dort nicht allzu sehr auf dem Präsentierteller zu sitzen.
Das Bier schmeckte beiden gut. Sie vermieden es, über den Fall zu reden, weil immer die Gefahr bestand, dass jemand etwas mithören konnte. Schließlich fragte Barbara Jakubian direkt nach dem, was er in Hannover zurückgelassen hatte. »Ich hätte Verständnis, wenn du nicht darüber reden willst«, fügte sie hastig hinzu, denn sein Gesicht sprach Bände.
Aber er war bereit zu erzählen. »In Hannover sind eine Frau und ein Kind«, sagte er leise, sodass Barbara ihn kaum verstehen konnte. »Eigentlich nur ein Kind.« Er seufzte. »Und wenn man es genau nimmt, nicht mal das.«
Der Kellner kam, und er bestellte sich noch ein Bier, auch Barbara nahm noch eines.
»Du bist also verheiratet«, wollte Barbara ihm weiterhelfen.
Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, verheiratet war ich nie. Dann hätte ich die Probleme wahrscheinlich gar nicht. Petra und ich haben fünfzehn Jahre zusammengelebt. Gekriselt hat es vorher schon einige Jahre. Sie war nicht immer treu, und dann lernte sie jemanden kennen, der es ernster meinte. Ich habe das zuerst gar nicht bemerkt. Polizistenbeziehungen: Man ist nie zu Hause, der Job geht immer vor, die Frau hat Angst, dass man erschossen wird, du kennst das. Dann haben wir uns letztes Jahr endgültig getrennt. Und leider nicht im Guten.« Er sah auf seine großen Hände. »Es gab Situationen, wo ich mich kaum noch unter Kontrolle halten konnte. Ich war wirklich kurz davor, sie zu schlagen.«
Barbara nickte. »Was ist mit dem Kind?«
Sie merkte, dass es ihm sehr schwer fiel, darüber zu reden. Der ganze riesige Mann schien ein bisschen zu beben.
»Ich darf Jan nicht sehen. Das hat Petra durchgesetzt.«
Barbara sah ihn zweifelnd an. »Du sagtest, ihr seid nicht verheiratet, aber auch unverheiratete Väter haben Rechte.«
»Das ist es ja. Als wir uns trennten, behauptete Petra, dass Jan nicht mein Sohn wäre. Sie willigte sogar in einen Vaterschaftstest ein.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein Gesicht. »Und es stellte sich heraus, dass ich wirklich nicht sein Vater bin. Und dazu ein potentieller Gewalttäter, dessen Beruf belastend und gefährlich für den Jungen sein könnte.«
Barbara hasste sich dafür, dass sie jetzt nicht die richtigen Worte fand. Sie sah Jakubian einfach nur an, fühlte, wie viel Schmerz er hinter seiner Macherfassade verbarg. Er schluckte, bevor er weitersprach, und Barbara musste noch ein wenig näher heranrücken, um ihn in der Geräuschkulisse der Kneipe zu verstehen.
»Jan ist mein Sohn, egal, ob ich ihn gezeugt habe oder nicht. Ich habe ihn gehalten und gewickelt, habe mit ihm Laufen und Fahrradfahren geübt. Ich mag nicht so oft zu Hause gewesen sein, wie ich es mir gewünscht hätte,
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