Blutlinien - Koeln Krimi
sein. Trotzdem. Wachsamkeit und Gründlichkeit waren in jedem Fall ratsam.
»Handelt es sich um ein Sexualdelikt?«, fragte Chiara, der Overall schlotterte um ihren mageren Körper. Eine blonde Haarsträhne schaute unter ihrer Haube hervor, die große Hornbrille war ihr auf die Nasenspitze gerutscht.
»Auf den ersten Blick ist nichts zu erkennen.«
»Offensichtlich kannte Frau Feldhaus ihren Mörder«, stellte Chiara fest.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Sie ist in Schlafklamotten. So mache ich niemandem die Tür auf, schon gar nicht abends, es sei denn, ich kenne die Person.«
»Vielleicht wurde sie morgens getötet«, gab Lou zu bedenken.
»Auch dann mache ich Unbekannten die Tür nicht im Pyjama auf.«
»Mag sein. Trotzdem heißt das nicht, dass sich Opfer und Mörder gekannt haben müssen. Vielleicht hat er sich unter einem Vorwand Zutritt verschafft.« Lou beugte sich vorsichtig zu der Leiche hinunter und drehte die Hände der Toten ins Licht. »Glattrandige Schnitte. Offensichtlich hat Frau Feldhaus versucht, die Hände schützend vor den Körper zu halten.«
Sie richtete sich auf und scheuchte Fliegen von ihren Schultern.
Chiara zeigte nach oben. »Das Blut ist bis an die Decke gespritzt.«
Lou blinzelte gegen das helle Licht der Lampe. Der strahlend weiße Verputz war übersät von roten Punkten und länglich ausgezogenen Spuren. »Unmöglich.«
»Aber wie sollen die Spritzer sonst dorthin gelangt sein?«
»Durch die Fliegen.«
»Du meinst, die Biester haben das Blut verschleppt, sind also quasi darin rumgewatet, und haben es durch ihre Füße überall verbreitet?« Chiaras ohnehin blasse Gesichtshaut wurde noch heller, und der Ekel in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Lou war ein wenig überrascht, bisher hatte sie die Praktikantin als ziemlich unerschrocken wahrgenommen, deshalb zögerte sie mit der Antwort. Aber Chiara sah sie erwartungsvoll an.
»Normalerweise legen Fliegen ihre Eier im Blut ab«, fuhr Lou also fort. »Das bisschen Blut, das dabei an ihren Beinen hängen bleibt, kann unmöglich so ein Spurenbild erzeugen.«
Chiara schrieb wieder eifrig mit, ihre Brille war leicht beschlagen.
»In Extremsituationen nehmen Fliegen mit ihrem Rüssel Blut auf. Solche Spuren entstehen, wenn sie ihren rot gefärbten Kot rausdrücken und mit dem Hinterteil über die Tapete wischen.«
Chiara schaute Lou ehrfurchtsvoll an. »Wow! Woher weißt du solche Sachen?«
Lou antwortete nicht.
Chiara beschrieb die nächste Seite ihres Blocks.
»Die Frau ist schon eine Weile tot.« Lou deutete auf die Fäulnisblasen, die sich am ganzen Körper gebildet hatten, und hielt sich mit einer Hand die Nase zu, während sie in die Hocke ging. »Junge Maden mögen weder Licht noch Trockenheit. Deshalb nisten sie sich gern zwischen zwei Hautschichten in den mit Fäulnisflüssigkeit gefüllten Blasen ein. Wenn du genauer hinsiehst, kannst du sie bereits unter der Hautoberfläche wimmeln sehen.«
Die Praktikantin bückte sich interessiert.
Lou zeigte auf eine hohe Wölbung. »Wenn ich hier nur ganz leicht draufdrücke, platzt sie auf und schwemmt eine übel riechende Flüssigkeit und einige Maden hervor.«
»Bei Leichen, die tagelang liegen, macht es immer besonders viel Spaß, sie umzudrehen oder sie überhaupt zu berühren.« Der Kollege vom Erkennungsdienst hielt Scotch-3M-Folie in der Hand. »Und wenn ich jetzt gleich anfange, das Opfer abzukleben, werden Teile der Haut an der Folie hängen bleiben, denn durch das Aufblähen löst sie sich schon jetzt teilweise vom Körper.«
Chiara nickte.
Die Fotografin des ED machte eifrig Bilder.
»Was meinst du, Chiara?« Lou schlug nach einigen Fliegen. »Wie lange ist die Frau tot?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Nach der Größe der Larven zu urteilen, vielleicht fünf bis sieben Tage«, schätzte Lou. »Die ausgewachsenen Fliegen sind kein Anhaltspunkt, weil sie wahrscheinlich durch das geöffnete Fenster hereingekommen sind. Bei der Todeszeitbestimmung kann die Madenentwicklung natürlich Aufschluss geben. Leichenflecken gibt es bei dieser Toten durch den hohen Blutverlust kaum. Die Wunden sind einfach sehr groß.« Lou unterdrückte ein Gähnen. Laut Schutzpolizei hat die Schwester des Opfers die Polizei gerufen. Die Geschwister waren verabredet, aber Johanna Feldhaus ist nicht erschienen und hat auch nicht auf Telefonanrufe reagiert, deshalb ist sie wohl hergefahren. Der Kollege hat gesagt, dass Barbara Feldhaus nicht vernehmungsfähig ist. Der Notarzt
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