Blutlinien - Koeln Krimi
mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate. Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich die Leiche obduziert habe. Allerdings kann ich nicht nachvollziehen, wie es zu einer derartigen Konservierung gekommen ist. Das ist nur möglich, wenn das Austrocknen des Körpers schneller geschieht als das Zersetzen der Leiche durch Fäulnis. Dazu muss außergewöhnliche Kälte oder Hitze vorherrschen, und ich sehe nicht, wie sich das in dieser Umgebung bewerkstelligen lässt. Nicht mal die Larven hatten Zeit zum Schlüpfen, und das trotz offenkundiger Wunden.«
»Vielleicht ist dieses Gerät verantwortlich«, sagte Lou und deutete auf einen kleinen Heizstrahler, der unter dem Couchtisch stand. Die Lüftung war der Leiche zugewandt.
Meller ging in die Hocke. »Das könnte tatsächlich die Ursache sein.«
»Strom gibt es in der ganzen Wohnung nicht«, sagte Maline. »Offensichtlich sind die Sicherungen rausgesprungen.«
»Vielleicht hat sich der Strahler über Tage heiß gelaufen«, spekulierte Lou. »Und dann ist die Sicherung durchgeknallt.«
»Oder der Strom wurde von der GEW abgestellt«, sagte Meller. »Wie auch immer, das Heizgerät erklärt die Mumifizierung.«
Nachdem weitere Fotos im Kasten waren, untersuchte der Rechtsmediziner die Tote auf Gewalteinwirkung am restlichen Körper.
»Nichts, keine weiteren Einstiche«, sagte er schließlich. »Aber genauere Angaben kann ich erst machen, wenn ich sie obduziert habe. Durch die starke Verfärbung des Körpers kann ich Wunden oder Hämatome kaum ausmachen.«
Gritt platzte in die Untersuchungen und wirkte, als hätte sie Land entdeckt. »Die Spinnen gehören zur Gattung der Baldachinspinnen. Eigentlich hätte ich sie gleich an ihren charakteristisch verworrenen Netzen erkennen müssen. Ihr Gebilde besteht im Prinzip nur aus Alarmier- und Stolperfäden. Die Vielzahl von Exemplaren auf so kleinem Raum schließt sich eigentlich aus, wie gesagt, normalerweise müssten sie sich gegenseitig auffressen. Und wie sie in dieser Menge in die Wohnung gelangen konnten, ist ebenfalls ein Rätsel.«
»Ist es nicht«, sagte Chiara und deutete auf große Glasbruchstücke. »Die Scherben, die hier überall auf dem Boden verstreut liegen, stammen mit Sicherheit von Terrarien.«
Lou setzte Maline gegen Mitternacht bei Charlie ab und fuhr nach Hause. Frieda und Wilson schliefen. Sie duschte, so heiß sie konnte, wusch sich zweimal die Haare und versuchte, die Bilder des Tages aus dem Kopf zu bekommen. Es gelang ihr nicht. Brust und Bauch. Zwei Einstiche. Das Unbehagen verschwand nicht.
In dieser Nacht träumte sie von Clemens. Er wurde von kurzbeinigen behaarten Spinnen durch die Kanalisation von Köln verfolgt, verfing sich dabei ständig in Alarmierfäden und bat Lou verzweifelt, ihm zu helfen.
* * *
Ich bin zurück, schneller, als mir lieb ist.
Eigentlich ist alles perfekt gelaufen, meine Ablenkungsmanöver sind geglückt. Ich bin abgetaucht, habe sämtliche Spuren verwischt, mein Aussehen verändert und versuche mich in einem anderen Betätigungsfeld. Ich fahre Pizza aus und patrouilliere auf neuen Linien. Aber die Kölner provozieren mich, rotten sich zusammen und bezeichnen meine Taten als stümperhaft. Die Presse ist voll mit Lügen. Kundgebungen haben stattgefunden. »Gemeinsam gegen Homophobie, Ausgrenzung und Gewalt« – diese Stadt ist nicht zu belehren, von Dankbarkeit keine Spur.
Der Trauerzug für die beiden Schwulen aus Mülheim war angeblich kilometerlang. Menschenmassen säumten die Straßen und hielten weiße Lilien in den Händen. Alles, was Rang und Namen hat, wohnte der Beerdigung bei. Hochstilisiert wurden die Toten, erhoben zu Märtyrern. Ein Gedenkstein ist im Gespräch.
Und allen voran schreitet diese Kommissarin. In sämtliche Kameras hängt sie ihre Visage, wird nicht müde zu betonen, wie leicht es am Ende war, mich dingfest zu machen. Aber ich laufe immer noch frei herum!
Mir ist es ein Rätsel, dass sie diesem einfältigen Clemens meine Taten zutrauen.
Ich bin gezwungen, meine Deckung aufzugeben, auch wenn ich es ungern mache, aber ich schätze, dass ich keine Wahl habe. Ich muss sicher sein, dass ihr regelmäßiger Atem nicht mehr existiert.
Danach breche ich meine Zelte für eine Weile ab. In diesem Land wird es mir zu heiß. Ungarn, Russland oder Frankreich könnten mir gefallen.
Es wird mir guttun, mich eine Zeit lang dort aufzuhalten, wo man meine Arbeit zu schätzen weiß.
Aber zuerst konzentriere ich mich auf meinen letzten Streich. Ich kann es
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