Blutlust
schwöre, es setzt was.«
Sie deutete mit dem Kopf zur Seite – wo einige Meter weiter Cyrus und Caligula standen und so aussahen, als würden sie nur darauf warten, auf die drei Mädels losgelassen zu werden.
Offenbar trauten die drei es ihnen auch tatsächlich trotz der Öffentlichkeit zu. Sie warfen die Gesichter in mürrische Falten und zogen sich in die andere Richtung zurück.
Ich schaute ihnen so lange nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden waren.
»Ich danke dir«, sagte ich dann erleichtert zu Carla, die heute Vormittag überraschend normal aussah. Jeans, pinkfarbene Chucks, weites Sweatshirt der NYU, Pferdeschwanz … und fast völlig ungeschminkt. Außer da, wo sie die Schwellung auf der Wange mit Make-up verdeckt hatte. Sie war aber auch so im Vergleich zu gestern Nacht erstaunlich gut abgeklungen.
»Gutes Heilfleisch«, sagte sie lächelnd. »Und nichts zu danken. Ich danke vielmehr dir … für gestern Nacht.«
Sie lächelte fast mädchenhaft schüchtern. Fast genau so schüchtern wie in der U-Bahn gestern und so ganz anders als im Club und auch im Park, wo sie jeden Domina-Wettbewerb mit wehenden Fahnen gewonnen hätte.
»Ich hab doch überhaupt nichts tun können«, sagte ich.
»Aber nur, weil ich es nicht zugelassen habe«, sagte Carla sanft. »Ich bin nicht besonders gut in solchen Dingen. Aber du hast versucht, für mich da zu sein … obwohl ich im Park nicht gerade nett zu dir war.«
»Nein, das warst du wirklich nicht«, lächelte ich, ihr vergebend. Da erst sah ich, dass um uns herum kaum noch jemand war. Selbst Cyrus und Caligula waren verschwunden.
Die Vorlesungen hatten begonnen. »Ich muss jetzt los.«
»Klar«, sagte Carla. »Was meinst du, hast du Lust, dich mit mir mal zu einem Kaffee zu treffen oder auf einen Cocktail?«
»Das wäre schön«, antwortete ich ehrlich. »Ja, dazu hätte ich Lust.«
»Fein«, sagte sie, und ihre hellen Augen strahlten noch ein wenig heller.
»Also dann bis hoffentlich ganz bald«, sagte ich, drehte mich herum und ging zum Hörsaal.
»Bis bald«, rief sie mir hinterher.
Ich öffnete die bereits geschlossene Tür.
Doktor Andersson, Professor für Anatomie, ein hagerer Endfünfziger mit zynisch nach unten gezogenen Mundwinkeln, blickte von seinem Podium unterhalb der Treppe zu mir nach oben – und dann auf die Uhr. Etwa dreihundert Köpfe drehten sich zu mir herum.
»Halt«, sagte er, als ich die Tür hinter mir zuzog und zu den wie in einem kleinen Amphitheater geordneten Stuhlreihen nach unten gehen wollte. »Ihr Name?«
»Saint«, sagte ich. »Sinna Saint.«
»Besitzen Sie eine Uhr, Miss Saint?«
»Ja, Professor Andersson.«
»Können Sie sie auch lesen?«
»Natürlich.«
»So natürlich scheint das nicht zu sein«, gab er schnippisch zurück.
Ich spürte, wie ich rot wurde. Am liebsten wäre ich auf der Stelle im Boden versunken.
»Schauen Sie sich um«, forderte er mich auf. »Hier sitzen dreihundert junge, lernwillige Menschen. Angehende Mediziner, die ein Heidengeld dafür ausgeben, hier studieren zu können. Sie rauben also gerade dreihundert Mal kostbare Zeit, indem Sie den Unterrichtsbeginn stören.«
Am liebsten hätte ich geantwortet, dass er derjenige war, der hier gerade Zeit verschwendete. Hätte er mich nicht aufgehalten und würde er mir jetzt nicht diesen mich vor allen demütigenden Vortrag halten, säße ich schon lange auf meinem Platz.
»Ich schlage vor, Sie gehen jetzt wieder und lassen uns zu unseren Studien zurückkehren«, sagte er kalt. »Und das nächste Mal seien Sie pünktlich, oder suchen Sie sich einen anderen Anatomie-Kurs. Wenn sich Mediziner irgendetwas nicht leisten können, dann ist das Unpünktlichkeit.«
»Aber …«
»Auf Wiedersehen, Miss Saint.«
Ich hätte am liebsten laut aufgeschrien vor Wut. Ihm zu erklären, dass mich drei Freaks aufgehalten hatten, um mir mit einer von einem Schlagstock gewonnenen Blutprobe von Max zu beweisen, dass es Vampire gibt, war genauso wenig angebracht.
»Auf Wiedersehen, Doktor Andersson«, sagte ich daher nur, drehte mich herum und verließ den Hörsaal wieder.
Draußen stand Carla und lächelte mitfühlend. »Professor Andersson?«
Ich nickte und schnaubte laut, um meinen Puls wieder runterzubringen.
»Seine übliche ›dreihundert junge, lernwillige Menschen‹-Ansprache?«
»Du kennst sie?«
»Die hat jeder schon mal zu hören bekommen«, winkte sie ab. Dann baute sie sich auf wie er eben und äffte ihn nach: »Wenn sich Mediziner
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