Blutlust
Unbehagen. Wenn sie das glaubte, was sie da gerade erzählte, war bei ihr mehr als nur eine Schraube locker im Oberstübchen.
Hinter dem Pförtnertresen war ein Radio zu hören, » … hat die Wasserschutzpolizei gerade die Leichen zweier junger Frauen im Hudson entdeckt. Die Kehle der einen ist aufgerissen und ihr Körper völlig ausgeblutet. Die andere wurde enthauptet und ausgeweidet. Wie die Polizei anhand bei den Leichen gefundener Ausweise feststellen konnte, handelt es sich bei den beiden Mordopfern um die Studentinnen Britney Larsson und Margarete Sears … «
Mir gefror das Blut in den Adern.
»Die Freaks«, sagte Carla – ebenso überrascht wie ich, wenn auch sehr viel weniger schockiert. »Da sind sie mit ihren Nazimethoden wohl mal an den Falschen geraten.«
Sie schaute mich an – forschend.
»Da kann Max ja von Glück sagen, dass er durch dich für heute Nacht ein Alibi hat.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich; mein Ton war schärfer als beabsichtigt.
»Ach, schon gut«, winkte sie ab. »Ich muss jetzt los. Du hast dich ohnehin schon dagegen entschieden, mir überhaupt irgendetwas zu glauben.«
»Das wundert dich jetzt aber nicht wirklich, oder?«
Sie lächelte. Und da war sie wieder, diese unglaublich tiefe Traurigkeit im Blick ihrer hellen Augen. Für einen Moment sah es sogar so aus, als würde sie gleich weinen.
»Nein«, sagte sie ehrlich. »Das wundert mich nicht. Ich würde mir vermutlich auch nicht glauben, wenn ich du wäre.«
Dann schritt sie eilig davon. Aber plötzlich hielt sie an und kam noch einmal zurück.
Ich holte schon Luft, um ihr zu sagen, dass ich überhaupt keine Lust mehr hatte, mit ihr zu reden. Aber sie griff bloß in ihre Handtasche und holte daraus einen Schlüssel hervor.
»Hier!« Sie reichte ihn mir. »Zu Max’ Wohnung.«
Ich nahm ihn und schaute sie fragend an.
»Ich will ihn ihm schon seit Wochen zurückgeben, vergesse es nur immer wieder. Er hat bestimmt nichts dagegen, wenn du ihn jetzt hast. Aber versprich mir, dass du auf dich aufpasst«, fügte sie dann hinzu und lächelte liebevoll. Dann wurde ihr Blick wieder ernst, aber auf eine sanfte Art. Sie hob die Hand, so, als wolle sie sie mir an die Wange legen, aber als sie sah, dass ich daraufhin einen halben Schritt zurück machte, verharrte sie in der Bewegung und ließ die Hand einen kleinen Moment später wieder sinken.
»Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir das Gleiche zustößt wie mir, Sinna.«
Ich sagte nichts und steckte den Schlüssel ein.
»Ich weiß, wir kennen einander noch nicht wirklich«, sagte sie und holte jetzt noch ein Kärtchen mit ihrer Telefonnummer aus der Tasche, »aber du bedeutest mir etwas. Und damit meine ich jetzt nicht die Bi-Sache, keine Angst. Also, wenn du mal reden willst … oder Hilfe brauchst …«
Ich nahm das Kärtchen. »Danke schön.«
Vielleicht war sie doch nicht nur eifersüchtig.
Nachdem sie verschwunden war, stand ich noch immer da und überlegte. Gedankenfetzen waberten mir durch den Kopf.
Carlas vernarbte Kehle.
Das Auftauchen der Polizei und die Vorwürfe Janes.
Die Gelassenheit, mit der Max DiBuono und O’Keefe abgefertigt hatte.
Max’ Hass auf die Freaks.
Das Auffinden der beiden Mädchenleichen – zerfetzte Kehle, ausgeblutet.
Mein Traum – in dem ich wach geworden und Max nicht da war.
Was, wenn nicht Max, sondern Carla die Wahrheit sagte?
Hatte ich die Nacht mit einem Psychopathen verbracht? Mit einem gefährlichen Killer?
Es gab einen Weg, das herauszufinden. Ich musste in Erfahrung bringen, ob es dieses Geheimzimmer – die Folterkammer – gab oder nicht.
Zehn Minuten später fand ich mich versteckt hinter einer Hecke vor dem Eingang zum Loft-Condo wieder und beobachtete, wie Max das Haus verließ, zu seinem Motorrad ging, es startete und losfuhr.
Nach all dem, was gestern Nacht zwischen uns geschehen war, fühlte es sich falsch an, ihm nicht einfach zu vertrauen; aber die leisen Zweifel, ob ich vielleicht für einen Mörder die Polizei belogen und ihm damit ein Alibi geliefert hatte, fühlten sich noch falscher an. Ja, das Leben besteht selten aus Entscheidungen zwischen richtig und falsch, sondern zwischen falsch und weniger falsch. Immerhin kannte ich Max so gut wie nicht – auch wenn ich mich stark zu ihm hingezogen und auf seltsame, jedoch glückselig machende Art jetzt schon sehr mit ihm verbunden fühlte.
Um aber dieses Glück in vollen Zügen genießen zu können, musste ich Gewissheit haben. Ich ging über den
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