Blutmale
vergessen«, erwiderte Sansone. »Deswegen mussten Ihre Freundinnen sterben. Er hat die beiden benutzt, um Sie zu finden.«
»Dann hat er sie umsonst getötet«, sagte sie. »Sie wussten nicht, wo ich war. Sie können ihm nichts verraten haben.«
»Und das ist vielleicht der einzige Grund, weshalb Sie noch am Leben sind«, meinte Baum.
»Helfen Sie uns, ihn zu finden«, sagte Sansone. »Kommen Sie mit mir nach Boston.«
Lange saß sie stumm auf dem Bett, unter den Blicken der beiden Männer. Ich habe keine Wahl. Ich muss mitspielen.
Sie atmete tief durch und sah Sansone an. »Wann fliegen wir?«
33
Lily Saul sah aus wie irgendeine junge Drogensüchtige, die man gerade auf der Straße aufgelesen hatte. Ihre Augen wa ren blutunterlaufen, ihr fettiges dunkles Haar nachlässig zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihrer Bluse sah man deutlich an, dass sie darin geschlafen hatte, und ihre Jeans war so zerfranst, dass sie sich bei einer der nächsten Wäschen ganz in Wohlgefallen auflösen würde. Oder war das einfach nur angesagt bei den Jugendlichen von heute? Doch dann erinnerte sich Jane daran, dass es keineswegs ein Teenager war, den sie da vor sich hatte. Lily Saul war achtundzwanzig, zweifellos eine erwachsene Frau, auch wenn sie im Moment wesentlich jünger und sehr verletzlich aussah. Sie wirkte schmerz lich deplatziert hier in Anthony Sansones prunkvollem Speisezimmer, wo ihr magerer Körper in dem wuchtigen Stuhl fast unterging, und sie wusste es. Ihre Blicke zuckten nervös zwischen Jane und Sansone hin und her, als versuchte sie herauszufinden, von welcher Seite die Attacke kommen würde.
Jane schlug eine Mappe auf und entnahm ihr eine vergrößerte Fotografie, kopiert aus dem Jahrbuch der Putnam Academy. »Können Sie bestätigen, dass dieses Foto Ihren Cousin Dominic Saul zeigt?«, fragte sie.
Lilys Augen senkten sich auf das Foto und verweilten dort. Es war allerdings ein faszinierendes Porträt, das ihr entgegenblickte: ein fein geschnittenes Gesicht, goldblondes Haar und blaue Augen - wie ein Engel von Raffael.
»Ja«, sagte Lily. »Das ist mein Cousin.«
»Dieses Foto ist über zwölf Jahre alt. Ein aktuelleres besitzen wir nicht. Wissen Sie, wo wir eines finden können?«
»Nein.«
»Sie scheinen sich da sehr sicher zu sein.«
»Ich hatte die ganze Zeit keinen Kontakt mit Dominic. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Und wann war das letzte Mal?«
»In dem Sommer. Er reiste in der Woche nach der Beerdigung meines Vaters ab. Ich war zu Sarah gezogen, und er kam noch nicht einmal vorbei, um sich von mir zu verabschieden. Er hat mir nur einen Zettel hinterlassen und ist verschwunden. Er schrieb, seine Mutter sei gekommen, um ihn abzuholen, und sie würden sofort abreisen.«
»Und seitdem haben Sie ihn nicht mehr gesehen und auch nichts von ihm gehört?«
Lily zögerte. Die Pause war nicht länger als ein Herzschlag, doch sie genügte, um Janes Aufmerksamkeit zu wecken. Sie beugte sich vor. »Sie haben von ihm gehört, stimmt's?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Was soll das heißen?«
»Letztes Jahr, als ich in Paris lebte, bekam ich einen Brief von Sarah. Sie hatte eine Postkarte in ihrem Briefkasten gefunden, die sie in helle Aufregung versetzte. Sie hat sie an mich weitergeschickt.«
»Von wem kam die Postkarte?«
»Es stand kein Absender drauf, keine Unterschrift. Es war eine Ansichtskarte aus dem Königlichen Museum in Brüssel. Ein Porträt von Antoine Wiertz. Der Engel des Bösen .«
»Stand etwas darauf?«
»Keine Worte. Nur Symbole. Symbole, die Sarah und ich wiedererkannten, weil wir gesehen hatten, wie er sie damals im Sommer in die Bäume geritzt hatte.«
Jane schob Lily einen Stift und einen Notizblock hin. »Zeichnen Sie sie mir auf.«
Lily nahm den Stift zur Hand. Sie zögerte einen Moment, als widerstrebte es ihr wiederzugeben, was sie gesehen hatte. Schließlich drückte sie die Spitze des Stifts auf das Papier. Was sie dann zeichnete, jagte Jane einen eisigen Blitz durch alle Glieder: drei umgedrehte Kreuze, dazu das Kürzel R17:16.
»Bezieht sich das auf eine Bibelstelle?«
»Es ist aus der Offenbarung.«
Jane sah zu Sansone hinüber. »Könnten Sie die Stelle bitte nachschlagen?«
»Ich kann sie zitieren«, sagte Lily leise. »›Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, die werden die Hure hassen und werden sie einsam machen und bloß und werden ihr Fleisch essen und werden sie mit Feuer verbrennen.‹«
»Sie kennen das Zitat
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