Blutmale
Purity wohnte.« Sansone trat noch dichter an sie heran, und sie empfand seine Nähe plötzlich als bedrohlich. »Ist er es, vor dem Sie auf der Flucht sind? Ihr eigener Cousin, Dominic?«
Sie schwieg.
»Offensichtlich sind Sie vor irgendetwas auf der Flucht. Seit Sie aus Paris abgereist sind, haben Sie sich nirgendwo länger als sechs Monate aufgehalten. Und in Purity waren Sie schon seit Jahren nicht mehr. Was ist in jenem Sommer passiert, Lily - in dem Sommer, als Sie Ihre Familie verloren?«
Lily schlang die Arme um die Brust, als wollte sie sich zu einem Knäuel zusammenrollen. Sie zitterte plötzlich am ganzen Leib, und das in einem Moment, wo es wichtiger war als je zuvor, dass sie sich zusammennahm.
»Zuerst ertrinkt Ihr Bruder Teddy. Dann fällt Ihre Mutter die Treppe hinunter. Und schließlich erschießt sich Ihr Vater. Alles innerhalb weniger Wochen. Ein bisschen viel Unglück auf einmal für ein sechzehnjähriges Mädchen.«
Sie schlang die Arme noch enger um den Leib; so heftig schüttelte es sie, dass sie fürchtete, es würde sie zerreißen.
» Waren es nur Unglücksfälle, Lily?«
»Was soll es denn sonst gewesen sein?«, presste sie hervor.
»Oder hat sich damals in jenem Sommer noch etwas anderes abgespielt - zwischen Ihnen und Dominic?«
Ihr Kopf schnellte hoch. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Sie wollen uns nicht helfen, ihn zu finden. Daraus kann ich nur schließen, dass Sie ihn schützen.«
»Sie - Sie denken, wir hatten ein Verhältnis ?« Ihre Stimme wurde schrill, beinahe hysterisch. »Sie denken, ich hätte ge wollt , dass meine Familie stirbt? Mein Bruder war erst elf!« Sie hielt inne und wiederholte tonlos: »Er war erst elf.«
»Vielleicht war Ihnen nicht klar, wie gefährlich das alles war«, sagte Sansone. »Vielleicht haben Sie nur ein paar Beschwörungsformeln mit ihm gesprochen. Bei ein paar harmlosen Ritualen mitgemacht. Das tun schließlich viele Jugendliche, aus reiner Neugier. Vielleicht, um zu zeigen, dass sie anders sind als alle anderen, dass sie einmalig sind. Vielleicht auch, um ihre Eltern zu schocken. Waren Ihre Eltern geschockt?«
»Sie haben ihn nicht verstanden«, flüsterte sie. »Es war ihnen nicht klar …«
»Und die anderen Mädchen - Ihre Freundinnen Lori-Ann und Sarah? Haben sie bei seinen Ritualen mitgemacht? Wann wurde aus dem Spiel schrecklicher Ernst? Wann wurde Ihnen klar, dass es Kräfte gibt, die man besser nie aufwecken sollte? Das ist es, was damals passiert ist, nicht wahr? Dominic hat Sie dazu verleitet.«
»Nein, so war es ganz und gar nicht.«
»Und dann bekamen Sie es mit der Angst zu tun. Sie versuchten, einen Rückzieher zu machen, aber es war zu spät, denn Sie waren schon in das Visier jener Mächte geraten. Sie und Ihre Familie. Wenn Sie einmal die Finsternis in Ihr Le ben eingelassen haben, werden Sie sie nicht so leicht wieder los. Sie gräbt sich ein, wird ein Teil von Ihnen. So, wie Sie ein Teil von ihr werden.«
»Das stimmt nicht.« Sie sah ihn an. »Ich wollte nie etwas mit diesen Dingen zu tun haben!«
»Und warum suchen Sie dann immer wieder ihre Nähe?«
»Wie meinen Sie das?«
Sansone warf Baum einen Blick zu, worauf dieser seine Aktentasche aufklappte und einen Stoß Papiere herausnahm. »Das ist das Dossier, das wir über Ihre Aufenthaltsorte in den letzten paar Jahren zusammengestellt haben«, erklärte Baum. »Vernehmungen von Personen, für die Sie gearbeitet haben. Museumsdirektoren in Florenz und Paris. Die Reiseveranstalterin in Rom. Ein Antiquitätenhändler in Neapel. Wie es scheint, haben Sie auf alle diese Leute großen Eindruck gemacht, Ms. Saul, mit Ihrem obskuren Spezialgebiet. Mit Ihrem Fachwissen über Dämonologie.« Er warf die Vernehmungsprotokolle auf den Tisch. »Sie wissen eine Menge über das Thema.«
»Das habe ich mir selbst beigebracht«, sagte sie.
»Warum?«, fragte Sansone.
»Ich wollte ihn verstehen.«
»Dominic?«
»Ja.«
»Und verstehen Sie ihn jetzt?«
»Nein. Mir ist jetzt klar, dass das unmöglich ist.« Sie erwiderte seinen Blick. »Wie können wir etwas verstehen, was überhaupt nichts Menschliches hat?«
Mit ruhiger Stimme entgegnete er: »Das können wir nicht, Lily. Aber wir können unser Bestes tun, um ihn zu besiegen. Also helfen Sie uns.«
»Sie sind seine Cousine«, fügte Baum hinzu. »Sie haben in jenem Sommer mit ihm in einem Haus gewohnt. Sie kennen ihn vielleicht besser als irgendjemand sonst.«
»Es ist zwölf Jahre her.«
»Und er hat Sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher