Blutmaske
seine ganze Ausrüstung aufgebaut, eine kleine Bar befand
sich ebenso da oben wie ein Chill-out-Bereich in weißem Leder.
Als sie sich zwischen den Gästen im ersten Stockwerk bewegt
hatte, waren etwa zehn Leute dort gewesen. Jetzt sah sie lediglich
eine Hand zwischen den hölzernen Gitterstäben der Empore
herausragen. Am Zeigefinger haftete eine rote Blutperle, die
sich beharrlich der Schwerkraft widersetzte.
Gebannt verfolgte sie, wie der Tropfen lang und länger wurde,
bis er wie in Zeitlupe schließlich doch nach unten stürzte
und mit einem überdeutlich vernehmbaren Geräusch in einer
Blutlache einschlug. Die sanften Wellen, die er durch sein Eintauchen
auslöste, zitterten gegen eine verstümmelte Leiche –
eine von so unendlich vielen in diesem Raum!
Es fiepte laut, und sie schrak zusammen.
»Vielen Dank«, sagte die Männerstimme. »Ich rufe Sie vielleicht
zurück, wenn Sie gutes Karma haben. Die Götter seien
mit Ihnen.«
Während die letzten Worte verklangen, wurde ihr Blick von
etwas zu ihrer Linken angezogen. An der Wand erhob sich
eine zwei Meter hohe Statue, die einige rote Spritzer abbekommen
hatte, und schaute ungerührt aus den Bronzeaugen
auf die Toten hinab.
Kali
, erkannte sie,
die Göttin des Todes!
Fast schien es, als wäre sie für dieses Massaker verantwortlich.
Als sei sie von ihrem Sockel gestiegen, mit ihren vielen Armen
und ihrem Dolch durch die Menge gerast und habe wahllos
getötet.
Die letzten Reste ihres klaren Denkens setzten aus. Der
Fluchtinstinkt ließ sie zurückweichen, zurück in die Vorhalle,
dann rannte sie tränenblind und verstört durch das Haus, vorangepeitscht
von blanker Panik. Auf einmal schien es um sie
herum zu flackern. Alles, was sie sah, wurde in helles Blau getaucht,
das waberte, wie eine Flammenwand wallte und auch
ihr entgegenbrandete, um sie lautlos zu umspielen.
Sie kreischte und wimmerte, schlug um sich und versuchte,
die allgegenwärtige Farbe zu verscheuchen. Raus! Nur raus! In
ihrer Angst und Verzweiflung merkte sie gar nicht, dass sie
gegen Scheiben rannte und sich Prellungen zuzog, auch nicht,
dass sich tiefe Risse im Glas bildeten, die trotz der Wucht ihres
Aufpralls nicht zu erklären waren. Sie hämmerte gegen verschlossene
Türen – und hinterließ tiefe Kratzer im Holz. Sie
stieß schmerzhaft gegen Möbel und stürzte, um sofort wieder
aufzustehen und weiterzujagen, so gut es ihr noch möglich war,
ohne zu bemerken, wie Schubladen und Türen zerbarsten.
Plötzlich stand sie vor einer uralten hölzernen Tür, die eher in
ein Schloss als in ein modern eingerichtetes Haus gepasst hätte
– und ihre Sicht klarte auf. Die rasend machende Kopflosigkeit
zerfloss, das wogende Indigo, in dem sie gerade noch gefangen
schien, war verschwunden.
Sie blickte auf polierte Eisenbeschläge, dicke Nieten, eingebrannte
Symbole und Zeichen im dunklen Holz, mit denen sie
nichts anfangen konnte, schimmernde Zierelemente aus Silber
und Gold in halbkreisförmigen Mustern. Der angelaufene Silberknauf
war dem Kopf und Hals eines Fabelwesens nachempfunden,
einer Mischung aus Bär und Ziege, mit weit aufgerissenen
Augen, herausgestreckter Zunge und vier Hörnern auf
dem Schädel.
Das Portal stand zu einem Viertel offen, und als sie den Blick
nach unten sinken ließ, auf ihre blutigen, zerkratzten Schienbeine
und Füße, erkannte sie blutige Abdrücke, die aus der
Kammer herausführten.
Ihre
Abdrücke!
Hier hatte ihr Fluchtversuch begonnen.
Dahinter lag Patrick. Zerstückelt.
Und abrupt erinnerte sie sich, in dieser Nacht schon einmal
vor dieser Tür gestanden zu haben.
Die Bilder einer Vitrine stiegen in ihrem Geist auf. Danach
verblasste die Erinnerung wieder – bis auf den heißen Schmerz,
den sie unvermittelt wie Flammen am ganzen Körper empfunden
hatte und der von ihren frischen Verletzungen ausgegangen
war. Sie lagen unter der dünnen Schicht aus Mull und Tape
verborgen.
Sie senkte den Kopf und betrachtete ihren Bauch, tastete nach
dem Klebestreifen und zog ihn ab. Der feine Gazestoff, der sich
mit Patricks Blut vollgesogen hatte, löste sich, und darunter
kamen ihre Wunden zum Vorschein.
Ein Laut, in dem ihre ganze Ungläubigkeit lag, drang aus
ihrem Mund: Aus den rötlichen Schnitten waren pechschwarze,
eingebrannte Bahnen geworden, als habe jemand sie mit einem
Brandeisen nachgezogen. Und wenn sie sich nicht täuschte,
war der Schnitt, den sie als Letztes erhalten hatte, gerade eben
silbrig aufgeglüht!
An der Tür blitzte es ebenfalls. Sie hob
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