Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
...«
»Puffmutter. Genau. Und mein Vater war Catcher.«
Seine Augen werden immer größer und runder. »Sie nehmen mich auf den Arm?«
»Nein, warum sollte ich? Man muss zu seinen Wurzeln stehen. Meine Mutter ist eine fantastische Frau und mein Vater war ein toller Mann, der Held meiner Kindheit. Leider ist er vor zehn Jahren gestorben.«
»Lassen Sie mich raten: Er wurde von einem Zuhälter erschossen?«
»Nein«, sage ich. »Er kam bei einem Autounfall ums Leben.«
»Das tut mir leid.«
»Ja, es war tragisch.«
Bevor ich noch mehr Blödsinn erzählen kann, kommt die Kellnerin mit Wilsbergs Bier. Er greift sofort nach seinem Glas. Als er es wieder absetzt, kleben Schaumreste an seiner Oberlippe. Eigentlich ist er ganz nett. Nicht dass er in mein Beuteschema passen würde. Aber je länger ich ihn mir angucke, umso weniger unattraktiv finde ich ihn. Was mir gefällt, ist seine Stimme, die ziemlich tief und ein ganz kleines bisschen sexy ist. Außerdem riecht er gut. Als er mich auf dem Clubparkplatz zu seinem Auto schleppte und ich mich schwer auf ihn stützte – schließlich musste ich ja so tun, als hätte ich mir tatsächlich den Knöchel verstaucht –, da fand ich sein Eau de Toilette, das nach Sandelholz riecht, ausgesprochen anziehend. Und dass er anschließend in den Club zurückgelaufen ist, um meinen Mantel zu holen, hat ihm weitere Pluspunkte eingebracht.
»Interessieren Sie sich schon lange für SM?«, fragt er.
»Ich interessiere mich überhaupt nicht für SM. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich in diesem Club Marquis war: Ich will wissen, wer Renate verletzt hat und warum.«
»Da haben wir ja etwas gemeinsam.«
Wir haben mehr gemeinsam, als du glaubst, denke ich. »Wissen Sie, was ich immer noch nicht so ganz verstehe: Warum ist Ihnen diese Geschichte so wichtig? Sie kennen die Beteiligten doch kaum. Oder geht es Ihnen nur um Ihr Buch?«
Er schüttelt den Kopf. »Mir geht es um den Täter und um seine Motivation. Handelt es sich um einen durchgedrehten Sadisten, der leider kurz die Kontrolle verloren hat? Oder spielt etwas anderes eine Rolle?«
Das würde mich allerdings auch interessieren.
»Woher kennen Sie eigentlich Dracu?«, fragt er mich.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dass die Frage kommen würde, hätte ich mir eigentlich denken können. »Ich habe in seinem Laden eingekauft.«
»Und sich gleich mit ihm verabredet?«
»Na ja, er ist ein attraktiver Mann. Obwohl ich als Sadistin eigentlich nicht wirklich etwas mit ihm anfangen kann.«
»Als Sadistin?«, fragt er und zieht die Augenbrauen hoch.
Bevor ich etwas erwidern kann, fährt er fort. »Eine Sadistin«, sagt er, »trägt kein Halsband. Die lässt sich nicht von so einem Möchtegern-Winnetou Gassi führen. Der Typ hat Sie doch vor versammelter Mannschaft als seine neue Sklavin zur Schau gestellt. Haben Sie das nicht gemerkt?«
Natürlich habe ich das gemerkt. Das war auch der Grund, warum ich so getan habe, als hätte ich mir den Knöchel verstaucht. Ich wollte nicht zurück in den Club. Ich wollte nicht wieder an die Hundeleine, ich wollte nicht zu diesem Mann, dessen Attraktivität mich genauso fasziniert, wie mich sein dominantes Auftreten abstößt. In meinem ganzen Leben habe ich noch niemanden getroffen, der derart widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst hat. Irgendetwas reizt mich an ihm, aber da ist auch etwas in diesen viel zu blauen Augen, was mir Angst macht. Ich bin Dracu nicht gewachsen. Das weiß ich. Und das Schlimmste ist: Er weiß es auch.
Wilsberg mustert mich. »Was ist?«, fragt er. »Woran haben Sie gerade gedacht?«
»Dass Sie eifersüchtig sind.«
»Bin ich nicht«, widerspricht er, wirkt dabei aber ziemlich verlegen.
»Erzählen Sie mir etwas über sich«, sage ich, stütze mein Gesicht in beide Hände und strahle ihn an.
»Was wollen Sie denn hören?«
»Alles!«
Zwei Stunden und drei Alsterwasser später habe ich eine ganze Menge über Herrn Wilsberg in Erfahrung gebracht. Angeblich hat er Jura studiert, eine Zeit lang als Rechtsanwalt gearbeitet, dann jedoch Karriere als Journalist gemacht. Er ist achtundvierzig Jahre alt, geschieden und hat eine dreizehnjährige Tochter. Zurzeit ist er Single. Und das angeblich gern. Ob das, was er mir erzählt hat, der Wahrheit entspricht oder zur Legende vom Journalisten gehört, der ein Buch über SM schreibt, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur eins, mit dieser Vita wäre er der ideale Mann für mich. Wir sind beide
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