Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
Blick, den er mir zuwirft.
»Tut es sehr weh?«
»Ja«, antworte ich und ziehe den Mantel aus. Das hätte ich lieber lassen sollen. Ich habe sofort die volle Aufmerksamkeit aller Männer in der näheren Umgebung. Daran ist mein Lederkorsett schuld. Mein Lederkorsett und mein Dekolletee, das mehr zeigt, als mir lieb ist. Aber nicht nur die Jungs am Tresen und den umliegenden Tischen interessieren sich für meine Oberweite. Auch der Mann an meiner Seite ist verstummt und schielt paralysiert auf meine Brüste. Kerle sind doch alle gleich. Bevor Wilsberg Schlagseite bekommt und mit seiner Nase in meinem Busen versinkt, ziehe ich meinen Mantel lieber wieder an.
Wilsbergs Handy klingelt und er richtet sich auf.
»Entschuldigung«, nuschelt er und fummelt sein Telefon aus der Jackentasche. Der Anruf kommt von einer Frau, die stocksauer ist. Sie brüllt so laut, dass ich das Gespräch problemlos mitverfolgen kann. Es geht um sein viel zu frühes Verschwinden von der Bondage-Veranstaltung und darum, dass er mit »Dracus neuer Schlampe« abgezogen ist. Wilsberg ist deutlich anzusehen, wie unangenehm ihm dieses Telefonat ist. Er sagt leise »Sorry«, steht auf und flüchtet mit seinem Mobiltelefon vor die Tür.
Ich winke der Kellnerin und bestelle ein Alsterwasser. Während ich warte, beobachte ich durchs Fenster, wie Wilsberg auf einer Art Rampe steht und verlegen mit der handyfreien Hand in der Luft herumfuchtelt.
Die Bedienung stellt ein Glas vor mir ab. »Kann ich gleich kassieren?«, fragt sie. »Ich habe Schichtwechsel.«
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich meine Tasche in Wilsbergs Auto vergessen habe. Macht nichts. Seine Jacke hängt über dem Stuhl und aus der ausgebeulten rechten Sakkotasche schaut ein Stück seines Geldbeutels hervor. Da er mich eingeladen hat, habe ich keine Hemmungen, mit seinem Geld zu bezahlen. Als ich seine Börse wieder schließen will, fällt mir ein Stapel Visitenkarten auf, den ich neugierig herausnehme. Auf der ersten Karte steht: Georg Wilsberg, Journalist. Anscheinend hat er also nicht gelogen. Auf der zweiten Karte steht: Georg Wilsberg, Versicherungsagent. Dann kommt: Georg Wilsberg, Immobilienmakler. Danach: Georg Wilsberg, Filmproduzent. Und so geht das über zwanzig Karten lang weiter. Auf jeder steht eine andere Berufsbezeichnung. Das kommt mir verdammt bekannt vor. Ich werfe einen kurzen Blick durchs Fenster und filze schnell seine Jacke. In einer der Innentaschen finde ich, was ich gesucht habe. Mehrere Visitenkarten mit dem ausnahmsweise immer gleichen Aufdruck: Georg Wilsberg, Privatdetektiv.
Das erklärt einiges. Zum Beispiel, warum er sich als Arzt verkleidet hat, warum er ständig in diesem SM-Club aufgetaucht und warum er in mein Zimmer eingebrochen ist. Damit wäre klar, dass es sich bei Wilsberg nicht um den Mann mit dem Faible für Rasierklingen handelt. Allerdings bedeutet das auch, dass sein Interesse an mir keine privaten, sondern rein berufliche Gründe hat. Und das kränkt meine Eitelkeit. Mehr, als ich erwartet hätte.
Wenig später kehrt Wilsberg zurück, lässt sich auf den Stuhl fallen, entschuldigt sich lang und umständlich für seine Abwesenheit und bestellt bei dem jungen Mann, der hinter dem Tresen Gläser poliert, per Handzeichen ein Pils.
»War das die Frau, die im Club neben Ihnen gesessen hat?«, frage ich.
»Ja, ja. Das war Clara Heusken, die Clubbesitzerin.«
»Ihre Freundin?«
»Nein. Sie ist nur eine gute Bekannte. Ich hatte versprochen, etwas für sie zu erledigen ... Nun ja, wir haben das geklärt.«
»Sie haben das geklärt. Das ist doch schön«, sage ich ironisch und überlege, ob es wohl Clara Heusken war, die ihn auf den Fall angesetzt hat. Schließlich haben die Betreiber des Clubs eine Menge zu verlieren.
Wilsberg räuspert sich. »Wie geht es Ihrem Knöchel?«
»Besser.«
»Das freut mich.« Er lächelt mich an. Doch ich erwidere sein Lächeln nicht.
»Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht gerade in SM-Clubs rumlaufen?«, fragt er.
»Sie meinen beruflich?«
Er nickt.
»Ich bin Schauspielerin. Zurzeit allerdings ohne Engagement.«
»Oh«, sagt er. »Und wovon leben Sie, wenn Sie kein Engagement haben?«
»Ich jobbe in der Kneipe meiner Mutter. Auf dem Kiez. Der Laden läuft allerdings nicht mehr so besonders. Die Mädels kommen halt in die Jahre und da lässt das Geschäft dann doch ziemlich nach.«
»Was für Mädels?«, fragt er.
»Na, die Huren, die für meine Mutter arbeiten.«
»Ihre Mutter ist
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