Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
sich die Frau und überflog die Seite. „Hm, das ist merkwürdig, dieser Eintrag könnte für Sie von Interesse sein. Die Seite lag ganz hinten, gesondert. Schauen Sie sich das einmal an.“ Sie reichte Paula das Blatt.
Er starrte auf den leeren Platz vor ihm. Den ganzen Morgen drehte sich schon alles um sie. Er konnte es nicht mehr hören. Er senkte den Blick und schloss die Augen. Ich möchte nichts mehr davon hören, dachte er. Er hatte schon seit zwei Stunden nicht mehr zugehört, was Frau Lichter, die Mathematiklehrerin, und Herr Baumann, der Klassenlehrer, erzählten. Alles hatte ganz harmlos angefangen. Kate war heute nicht zum Unterreicht erschienen. So what? Das kam schließlich mal vor. Niemand wusste etwas über sie. Alle schüttelten den Kopf auf die Nachfrage der Lehrerin, niemand hatte sie gesehen oder etwas von ihr gehört. Gegen Ende der Doppelstunde klopfte es plötzlich an der Tür und Herr Baumann betrat das Klassenzimmer. Leise flüsterte er der Mathematiklehrerin etwas ins Ohr. Diese wurde daraufhin ganz blass. Sie schwankte richtig und hielt sich an der Tischkante fest. Herr Baumann sah auch nicht gerade gut aus. Das Ganze schien ihn echt mitgenommen zu haben. Dann trat er vor die Klasse und sagte, er habe eine schwere Aufgabe und müsse der Klasse eine traurige Nachricht überbringen. Sehr traurig, sagte er. Dann berichtete er der Klasse mit knappen Worten, dass Kate Dreyer vermutlich Opfer eines Verbrechens geworden sei und heute Morgen tot aufgefunden worden war. „Bumm“, das saß. Es war absolut still im Raum, niemand sprach ein Wort, niemand lachte. Alle starrten Herrn Baumann an. Nur er konnte den Lehrer nicht ansehen, er schaute stattdessen nach unten auf seinen Schreibtisch, er konnte einfach nicht anders. Es ging einfach nicht. Hatte er sich damit verdächtig gemacht? Einige Mitschüler begannen zu weinen, andere fragten nach einer Erklärung, einem Grund. Aber der Lehrer konnte oder wollte keine weiteren Details nennen. Seitdem saßen sie in der Klasse und redeten und redeten. Der Schulpsychologe war hinzugekommen und forderte die Schüler auf, mit ihm zu sprechen, wenn ihnen danach sei. Seine Tür würde jedem jederzeit offen stehen. Er hätte fast laut los gelacht. Dieses verlogene Schwein. Er versuchte in dem Gesicht des Psychologen zu lesen, seine wahren Gefühle zu ergründen, doch er konnte keine Gefühlsregung wahrnehmen. Dann begann er, jeden einzelnen Schüler der Klasse nach und nach zu beobachten. Jede Reaktion. Dieses falsche Pack. Geweint haben sie, geschrien, gesagt, Kate hat es nicht verdient. Warum nur? Ehrlich. Sie war ein Arschloch! Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte geschrien: „Ihr habt sie alle gehasst. Tut doch nicht so scheinheilig. Sie war irre. Sie hat es verdient.“ Doch er blieb ganz still auf seinem Platz sitzen und wartete, dass Stunde um Stunde verging. Er starrte auf die Uhr, zählte die Sekunden und starrte wieder auf den Tisch. Und dann, dann klopfte es plötzlich wieder an der Tür. Eine unbekannte Frau betrat das Klassenzimmer. Sie hatte kurze schwarze Haare. Sie kam herein, nickte allen zu, trat auf die beiden Lehrer - Herrn Baumann und Frau Lichter - und den Schulpsychologen zu und murmelte irgendetwas. Er horchte genau hin, versuchte etwas zu verstehen. Doch es gelang ihm nicht. Nur ein Wort, das konnte er ganz genau heraushören: Polizei. Es rauschte nur noch in seinen Ohren. Sein Pullover wurde plötzlich sehr eng am Hals, er bekam kaum noch Luft, sein Mund wurde trocken. Ihm wurde immer wärmer, die Hitze stieg bis zu seinem Kopf, der immer röter wurde. Er versuchte die Wärme zu ignorieren. Er durfte jetzt unter gar keinen Umständen auffallen. Er durfte nichts tun, was die Blicke der Frau auf ihn hätte ziehen können. Also blieb er einfach stumm und reglos auf seinem Platz sitzen, versuchte gleichmäßig zu atmen und starrte geradeaus, auf den leeren Stuhl vor ihm.
Nachdem Paula sich das Blatt, das aus Kates Akte gefallen war, genauer angeguckt hatte, beschloss sie, direkt zum Klassenraum von Kates Klasse zu gehen. Sie klopfte einmal kurz an, setzte ein möglichst entschlossenes Gesicht auf und betrat den Raum. Vorne standen zwei Lehrer der Klasse zugewandt, die Schüler saßen ganz normal auf ihren Sitzplätzen. Ein weiterer Lehrer, der sich als Schulpsychologe herausstellte, stand etwas abseits. Paula sah den Schülern an, dass sie die Nachricht vom Tod der Klassenkameradin mitgenommen hatte. Lehrer und Schüler waren
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