Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
offenbar gerade mitten in einem Austausch über den Tod von Kate gewesen.
„Paula Franz, Kriminalpolizei“, stellte Paula sich leise vor. Sie nickte den Schülern einmal kurz zu und ging auf die beiden Lehrer zu. In gedämpftem Tonfall fügte sie hinzu. „Ich untersuche den Tod von Kate Dreyer. Ich würde gerne die restlichen zehn Minuten hier der Diskussion folgen und mich anschließend noch einmal mit Ihnen beiden unterhalten. Ist das möglich?“
„Henning Baumann, ich bin der Klassenlehrer“, erklärte der Mann und reichte Paula kurz die Hand. „Das ist Frau Lichter, sie unterrichtet Mathematik in der Klasse und ist zugleich die Vertrauenslehrerin. Herr Meindel, der Schulpsychologe, unterstützt uns heute aufgrund des tragischen Ereignisses. Vielleicht stellen Sie sich dort ans Fenster, wir sind auch gleich fertig. Dann können wir uns gerne austauschen.“ Er wies Paula mit dem Arm den Weg zum Fenster.
Paula durchquerte den Raum, nickte dabei Herrn Meindel kurz zu und lehnte sich an die Fensterbank. Herr Baumann nahm das Gespräch wieder auf. Das Thema war eher der Tod allgemein, der unausweichlich war, und den jeder Mensch annehmen und akzeptieren musste. Paula dachte unweigerlich an Fynn. Einen Moment schloss sie die Augen. Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln und konzentrierte sich auf die Schüler dieser Klasse. Ihre Augen gingen Reihe für Reihe durch. Kurz schaute sie sich die Gesichter an. Registrierte die unterschiedlichen Reaktionen. Einige Schüler hatten geweint. Andere wirkten wie versteinert. Einige Schüler schauten sie kritisch und abschätzend an. Hatten sie Angst vor ihr? Andere Schüler senkten sofort den Blick, sobald sie bemerkten, dass Paula sie musterte. Paulas Blick blieb an einem leeren Platz in der zweiten Reihe hängen. Kates Platz, nahm sie an. Plötzlich ertönte ein lauter Gong. Gemurmel breitete sich aus. Herr Baumann hob noch einmal beide Arme. Die Schüler verstummten.
„Wie besprochen, werden wir für heute den Unterricht beenden. Wir werden schauen, inwieweit in den nächsten Tagen ein ganz normaler Schulalltag möglich ist. Bitte nehmt das Angebot von Herrn Meindel an, wenn ihr Redebedarf habt, der Schulpsychologe ist für euch da. Seine Tür steht jederzeit offen. Natürlich könnt ihr auch zu mir oder zu Frau Lichter kommen, wir sind auch immer für euch da, wenn ihr über irgendetwas sprechen möchtet.“ Damit entließ er seine Klasse.
Sie saß im Fensterrahmen und schaute auf die Uhr. Sie verfolgte, wie die Schülerinnen und Schüler aus dem Raum strömten. Sie blickte in jedes einzelne Gesicht, das den Raum verließ, versuchte darin zu lesen und die Gefühle der anderen einzuschätzen. Sie wartete aber nur auf ein bestimmtes Gesicht. Für sie war heute ein ganz normaler Tag. Alltag. Oder nein, es war ein Glückstag. Doch das durfte sie nicht zeigen. Sie versuchte ein betrübtes Gesicht aufzusetzen. Und wartete. Sie musste ihn sehen, ihm einmal in die Augen blicken. Wissen, was er dachte, ob er dem Druck standhalten würde? Er war ein Schwächling. Warum hatte sie sich überhaupt mit ihm eingelassen? Sie hasste schwache Menschen, die waren nichts wert. Er würde es im Leben nie zu etwas bringen. Trotzdem gehörte er ihr. Nur ihr allein. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, das sie jedoch sofort wieder unterdrückte. Nicht heute. Heute war Staatstrauer angesagt. Arme Kate, dachte sie spöttisch. Er sah gut aus, das musste sie ihm lassen. Und wenn sie ehrlich war, war er ganz gut im Bett. Als Schwächling stellte er seine Bedürfnisse immer hinten an. Ein totaler Versager eben. Er war kein richtiger Mann, aber für gewisse Dinge war er gut genug. Er konnte ihr grundsätzlich keinen Wunsch abschlagen. Er tat alles für sie, wirklich alles. Das hatte er spätestens letzte Nacht bewiesen. Sie steckte die Hand in ihre Jackentasche und befühlte den weichen Gegenstand, den sie nun immer mit sich führte, seit dem unverzeihlichen Verrat. Sie hielt ihn fest umklammert und drückte zu. Erneut stieg Wut in ihr auf, sie drückte immer fester zu. Aber er hatte seinen Verrat wieder ausgeglichen. Er hatte alles getan, um diesen Verrat ungeschehen zu machen. Trotzdem. Im Moment konnte sie seine Berührung nicht ertragen. Trotz allem. Er musste erst beweisen, dass er ihrer würdig war. Dann sah sie ihn plötzlich aus dem Klassenzimmer treten. Sie entspannte sich wieder etwas, löste ihre Hand, zog sie aus der Jackentasche und stand auf. Langsam ging sie auf ihn
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