Blutmusik
einer
Untersuchung, die durch ferngesteuerte Mechanismen vorgenommen wurde,
war längst zur Routine geworden.
Der große rechteckige Ausschnitt der Wandverkleidung
öffnete sich summend, und ein Tablett, das Glasgegenstände
und Werkzeug enthielt, schob sich vorwärts. Dann entfalteten
sich vier lange Arme aus Metall und Plastik, deren Greifwerkzeuge
sich versuchsweise öffneten und schlossen. In einer Kabine
hinter den Armen stand eine Frau und beobachtete Bernard durch ein
doppeltes Fenster aus Panzerglas. Eine Videokamera am Ellbogen eines
der Arme drehte sich, und als sie Bernard im Visier hatte, glomm ein
rotes Licht daran auf. »Guten Abend, Dr. Bernard«, sagte
die Frau freundlich. Sie war jung, von strenger Attraktivität,
mit rotbraunem Haar, das glatt zurückgekämmt und im Nacken
aufgesteckt war.
»Ich liebe Sie, Dr. Schatz«, sagte er, als er sich auf
den niedrigen Behandlungstisch legte, der unter den Greifarmen und
dem Tablett vorgerollt war.
»Nur für Sie, und nur für heute, ich heiße
Frieda. Wir lieben Sie auch, Doktor«, sagte sie. »Und ich
an Ihrer Stelle würde mich überhaupt nicht
lieben.«
»Diese Sache fängt an, mir zu gefallen,
Frieda.«
»Hm.« Mit einem der Greifer nahm sie eine Vakuumampulle
vom Tablett und lenkte die Nadel mit unglaublicher Geschicklichkeit
in eine Ader, der sie zehn Kubikzentimeter Blut entnahm. Er bemerkte
mit Interesse, daß das Blut purpurrosa war.
»Seien Sie vorsichtig, daß sie nicht
zurückbeißen«, sagte er.
»Wir sind sehr vorsichtig, Doktor«, erwiderte sie.
Bernard spürte Anspannung hinter der scherzhaften Fassade. Es
konnte Verschiedenes geben, was sie ihm über seinen Zustand
verschwiegen. Aber warum etwas verbergen? Er betrachtete sich
bereits als einen zum Untergang Verurteilten.
»Sie sagen mir nicht alles, Frieda«, sagte er, als sie
zur Hautuntersuchung einen Spezialklebestreifen an seinem Rücken
anbrachte. Ein Greifer zog den sehr fest haftenden Streifen mit einem
Ruck ab und ließ ihn in eine Glasschale fallen, der andere Arm
verschloß die Schale und versiegelte sie in einem Bad aus
flüssigem Wachs.
»Oh, ich finde, daß wir Ihnen nichts
verschweigen«, antwortete sie, auf die Bedienung der
Fernsteuerung konzentriert. »Welche Fragen haben Sie?«
»Gibt es in meinem Körper noch Zellen, die nicht
umgewandelt worden sind?«
»Nicht alle sind Noozyten, Dr. Bernard, aber die meisten sind
in der einen oder der anderen Weise verändert, ja.«
»Was geschieht mit ihnen, nachdem sie analysiert worden
sind?«
»Zu dem Zeitpunkt sind sie alle tot, Doktor. Seien Sie
unbesorgt. Wir sind sehr gründlich.«
»Ich bin nicht besorgt, Frieda.«
»Das ist gut. Nun drehen Sie sich bitte um.«
»Nicht wieder die Harnröhre.«
»Wie ich hörte, war dies einst ein sehr kostspieliger
Genuß unter reichen jungen Herren zur Zeit der Weimarer
Republik. Ein seltenes Erlebnis in den Bordellen von
Berlin.«
»Frieda, Sie verblüffen mich immer wieder aufs
neue.«
»Ja. Nun drehen Sie sich bitte um.«
Er gehorchte und schloß die Augen.
24
Kerzen säumten das lange Fenster des Foyers. Suzy trat
zurück und überblickte ihr Werk. Am Tag zuvor hatte sie
sich durch eine vom Wind zerfetzte Strecke brauner Laken
gekämpft und ein Kerzengeschäft gefunden. Mit einem zweiten
Einkaufswagen, den sie bei einem armenischen Krämerladen in der
South Street hatte mitgehen lassen, hatte sie eine Ladung Votivkerzen
zum World Trade Center geschafft, wo sie im Erdgeschoß des
südlichen Turms ihr Lager aufgeschlagen hatte. Im obersten
Geschoß dieses Gebäudes hatte sie den grünen
Lichtschein gesehen.
Mit all den Kerzen würden die U-Boote oder Flugzeuge sie
vielleicht finden. Und es spielte noch ein Impuls dabei mit, der ihr
freilich so albern vorkam, daß sie kichern mußte, wenn
sie darüber nachdachte. Sie wollte dem Fluß Antwort geben.
Sie stellte die Kerzen auf das Fensterbrett, zündete eine nach
der anderen an und schaute zu, wie ihr warmer Lichtschein sich in der
weiten Dunkelheit ringsum verlor.
Nun arrangierte sie die Kerzen in Spiralen am Boden, mußte
aber die Abstände vergrößern, als ihr Vorrat zur
Neige ging. Sie zündete die Kerzen an und ging von Flamme zu
Flamme, lächelte ins Licht und verspürte vage
Schuldgefühle, weil das tropfende Wachs den Teppichboden
befleckte.
Sie aß einen Schokoladeriegel und las im Schein von
fünf gebündelten Kerzen in einem Exemplar des Ladies
Home Journal, das sie von einem Zeitungsstand mitgenommen
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