Blutnacht
einen Mann waren unpraktisch, oft unmöglich, aber bei einem arroganten Kerl wie Shull war es einfacher. Warum sollte der Mistkerl auch nur daran denken, dass ihm jemand folgte?
Stahl fuhr mit ausgeschaltetem Licht, während Shull den Berg viel zu schnell hinunterraste. Auf dem Cahuenga fuhr der Expedition nach Norden und hinüber zu einem Jazzclub direkt im Süden vom Valley. Nicht weit von Baby Boys Apartment entfernt. Shull übergab den Expedition einem Parkhelfer, blieb vierzig Minuten drinnen und ließ sich seinen Wagen dann wieder bringen. Jetzt war es fast 1 Uhr, und da der Verkehr nachgelassen hatte, musste Stahl Abstand halten.
Shull fuhr nicht weit, nur einen kurzen Abstecher nach Studio City, wo er Kaffee und einen Hamburger in einem die ganze Nacht geöffneten Imbiss am Ventura in der Nähe der Lankershim zu sich nahm. Stahl fuhr auf den halb leeren Parkplatz und beobachtete das Fenster.
Vier Tassen Kaffee, schwarz. Shull vertilgte seinen Hamburger.
Tankte auf.
Shull zahlte bar und stieg wieder in den Geländewagen.
Zurück in die Stadt, dann am Sunset nach rechts. Ein paar Querstraßen weiter hielt Shull vor einer Bar namens Bambu. Neo-Tikihütten-Design, gelangweilter Türsteher.
Stahl fuhr eine Straße weiter, wendete rasch und beobachtete von der anderen Straßenseite des Sunset, wie Shull mit einer Zigarre im Mund aus seinem Wagen stieg.
Er trug ein schwarzes Lederjackett, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt. Angeberisch, plauderte mit dem Parkwächter.
Nicht nervös; offensichtlich hatte ihn Delawares Besuch in seinem Büro nicht beunruhigt. Ganz im Gegenteil: Shull hatte Delawares Fragen nach Drummond als Beweis dafür angesehen, dass er in Sicherheit war.
Falls Drummond Shulls Komplize gewesen war – falls Drummond irgendwas gewusst hatte hatten Delawares Fragen nach ihm wahrscheinlich etwas anderes erreicht: Drummond war nun zu einer ernsten Belastung geworden, bye-bye, Kev.
Sturgis hatte bei dem letzten Meeting mehr oder weniger diese Meinung geäußert. Drummonds Wagen in der Nähe des Flughafens bedeutete vermutlich, dass Shull sich des jungen Mannes angenommen und den Honda benutzt hatte, um Erna Murphy aufzugabeln; und ihn anschließend dort stehen ließ, um den Schluss nahe zu legen, dass Drummond sich weiträumig aus dem Staub gemacht hatte. Und es hatte funktioniert. All die Tage, die sie darauf verschwendet hatten, Passagierlisten durchzugehen. All die Zeit, die Stahl damit vertan hatte, Drummonds Apartment zu beobachten.
Und währenddessen vermoderte Drummond wahrscheinlich irgendwo.
Auch wenn Drummond nicht in die schlimmen Sachen eingeweiht gewesen war, war er wahrscheinlich eine Leiche. Weil sein Verschwinden für Ablenkung sorgte – eine großartige Tarnung für Shull.
Und weil Shull gerne Leute tötete.
Moderne Kunst.
Die falsche Grastür des Bambu schwang auf, und Shull kam mit einer umwerfenden Blondine am Arm heraus. Ende zwanzig, toupierte goldblonde Haare, eine richtige Barbie. Sie trug ein rotes Glitzertop unter einem kurzen schwarzen Jackett, eine zerfetzte hautenge Jeans und hochhackige Stiefel. Brüste, die viel zu hoch und zu groß waren, um echt zu sein, zu viel Make-up; Stahl korrigierte seine Altersschätzung: deutlich über dreißig.
Das klassische Partygirl vom Sunset Boulevard, deren beste Zeit hinter ihr lag. Aber keine Nutte, sie sah an Shulls Lederarm zu glücklich aus, als dass es sich um Arbeit hätte handeln können.
Kichernd. Schwankend. Beschwipst.
Shull lächelte sie an, wirkte vollkommen gelassen.
Das Leben meint es so gut mit mir.
Stahl saß in seinem Wagen und sah zu, wie die beiden flirteten. Auf Shulls Macho-Gehabe fixiert, fühlte er fast den Kolben des Scharfschützengewehrs an seiner Schulter.
Der Expedition fuhr vor, und Shull hielt Barbie die Beifahrertür auf. Hielt währenddessen ihre Hand. Sie küsste ihn zum Dank.
Sobald die Blondine im Auto saß, wechselte Shull mit dem Parkhelfer einen verschwörerischen Blick.
Jemand wird heute Nacht glücklich sein, Bruder.
Nicht das Mädchen.
Shull blieb auf dem Sunset und setzte seine Fahrt nach Westen fort, ließ den Strip hinter sich und kam nach Beverly Hills und dann ins noch protzigere Bei Air. An der Hilgard bog er nach Süden ab, fahr durch Westwood Village, und am Wilshire Boulevard nahm er seine Fahrt in westlicher Richtung wieder auf.
Er machte es Stahl leicht, weil der hell erleuchtete Boulevard selbst um diese Zeit – 2 Uhr nachts – ziemlich stark befahren war.
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