Blutnacht
die Stelle untersuchen wollte, wo der Expedition gestanden hatte.
Nur ein Ölfleck. Stahl ging zur Tür von Zimmer Fünf, klopfte an die meerblaue Tür, bekam keine Antwort, versuchte den Türknauf zu drehen. Abgeschlossen.
Ein lauteres Klopfen – ein Donnern in der Stille des frühen Morgens – löste immer noch keine Reaktion aus, und Stahl warf einen Blick auf das Büro des Verwalters. Lichter aus. Sollte er den Verwalter wecken und sich einen Schlüssel geben lassen, oder sollte er sich selbst der Tür annehmen? Das Schloss war ein mittelmäßiges Zylinderschloss, und sein Werkzeug war im Wagen. Er konnte ja sagen, die Tür wäre offen gewesen.
Er erwog seine Alternativen, sprach in der gestelzten Cop-Sprache mit sich, die man vor Gericht zur Rechtfertigung benutzte.
Ein des Serienmords Verdächtiger betrat das Zimmer mit einer Begleiterin und verblieb … eine Stunde und zweiundfünfzig Minuten an Ort und Stelle, bevor er allein herauskam. Ich versuchte zunächst, mir durch Klopfen Zugang zu verschaffen, und als ich nach einer angemessenen Zeitspanne keine Antwort erhielt, gewann ich den Eindruck, die Situation erfordere …
Die meerblaue Tür ging auf.
Die Blondine stand da in ihrem roten Top und ihrer zerrissenen, engen Jeans. Reißverschluss halb hochgezogen, die leiseste Andeutung eines Bäuchleins über einem pinkfarbenen Spitzenslip; mehrere platinblonde Schamhaare kräuselten sich über dem Gummiband.
Sie blinzelte, schwankte, schaute zu der Stelle, wo der Expedition gestanden hatte, sah dann Stahl an.
Mehrere Takte der anrollenden Brandung liebkosten den Morgen. Die Luft war kalt und feucht und roch nach Treibholz.
Stahl sagte: »Miss –«
Die Blondine trug kein Make-up, hatte verschlafene Augen, ihre Haare waren steif wie ein Vogelnest, wie eingesprayte Haare eben aussahen, wenn man darauf schlief.
Tränenspuren zogen Streifen über ihre perfekten Wangenknochen.
Das Gesicht war nicht so hart, wie Stahl gedacht hatte – gereinigt von Fettschminke sah sie jünger aus. Verletzlich.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, wollte sie mit einer Stimme wissen, mit der man Rost aus einer Regenrinne hätte entfernen können.
So viel zur Verletzlichkeit.
Stahl zeigte ihr sein Abzeichen und drängte sich ins Zimmer.
Trotz der Strandlage war das Sea Arms nur ein weiteres heruntergekommenes Motel, und das Zimmer war lediglich eine weitere schäbige, tageweise gebuchte Zelle. Niedrige Decke, zerwühltes Doppelbett mit Massageautomat, auf Holz getrimmte Beistelltische aus Kunststoff und festgeschraubte Plastiklampen. Über einem kleinen, an der Wand befestigten Fernseher hing eine Tabelle mit Filmen, für die man stundenweise bezahlte und von denen mindestens die Hälfte nicht jugendfrei war. Ein schlammbrauner Teppichboden war von Flecken verunziert, die nicht mehr zu entfernen waren.
Stahl entdeckte weiße Körnchen auf dem Nachttisch. Ein gefaltetes Stück steifes Papier – die Koksröhre. Ein zusammengeknülltes Kleenex war steif vom Rotz.
Kyra Montego wusste, dass Stahl die Rauschgiftutensilien gesehen hatte, doch sie tat so, als hätte sie nichts davon bemerkt.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie, mit angespanntem Hintern auf der Bettkante hockend. Der Reißverschluss war jetzt ganz hochgezogen. Ihr BH hing über einem Stuhl, und ihre Brustwarzen drückten sich durch das rote Top.
Sie machte mit ihrem Haar herum und hatte wenig Erfolg damit, Ordnung in den wilden blonden Schopf zu bringen.
Stahl sagte: »Der Mann, mit dem Sie zusammen waren –«
»So war es nicht«, unterbrach ihn Montego.
Kyra Montego. Auf keinen Fall stand das auf ihrem Geburtsschein.
Stahl fragte nach ihrem Ausweis, und sie sagte: »Was gibt Ihnen das Recht dazu? Sie wollen damit sagen, dass ich eine Nutte bin oder so was, und das ist Quatsch – Sie haben kein Recht.«
»Ich muss Ihren richtigen Namen kennen, Ma’am.«
»Dazu brauchen Sie einen Gerichtsbeschluss!«
Alle sahen sie zu viel fern.
Stahl nahm ihre Handtasche von der Kommode, fand drei Joints in einer Plastiktüte und legte sie neben sie aufs Bett. Ein langes blondes Haar kräuselte sich auf einem zerdrückten Kopfkissen.
»Hey«, sagte sie.
Er nahm ihre Brieftasche heraus, fand ihren Führerschein.
Katherine Jean Magary, Adresse an der Van Nuys, eine Apartment-Nummer mit drei Ziffern, die verriet, dass es sich um einen großen Komplex handelte.
»Katherine Magary ist ein schöner Name«, sagte er.
»Finden Sie?«, erwiderte sie. »Mein Agent hat
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