Blutnacht
nicht unnötig in Anspruch nehmen.«
»Gerade jetzt ist meine Zeit nicht unbedingt wertvoll. Julie Kippers Onkel hat heute Morgen angerufen und sich höflich nach meinen Fortschritten erkundigt, und ich musste ihm sagen, es gebe keine. Was beschäftigt dich, Alex?«
Ich erzählte ihm von den anderen Morden, auf die ich gestoßen war, und gab mein Gespräch mit Paul Brancusi wieder.
»An Wilfred Reedy erinnere ich mich«, sagte er. »Noch einer von Ricks liebsten Jazzmusikern. Ich glaube, das war eine Rauschgiftsache. Reedy hat einen Dealer verärgert oder etwas in der Art.«
»Reedy war drogenabhängig?«
»Reedys Junge war drogenabhängig. Er ist an einer Überdosis gestorben, und Reedy regte sich über den Drogenhandel in der Nähe der Clubs in South Central auf und fing an, Radau zu machen. Ich könnte mich irren, aber das ist es, woran ich mich erinnere.«
»Also ist der Fall gelöst worden?«
»Weiß ich nicht, aber ich krieg’s raus«, erwiderte er. »Also dann … lautet das Motiv jetzt Eifersucht?«
»Das ist der einzige konsistente Punkt: Künstler werden in dem Moment umgebracht, als sie kurz vor einem Karriereaufschwung stehen. Vier, wenn du Angelique Bernet mitzählst. Aber die Unterschiede überwiegen jede Gemeinsamkeit.«
»Wilfred Reedy war nicht auf dem Weg nach oben. Er wurde seit Jahren bewundert.«
»Wie ich bereits sagte, reine Zeitverschwendung.«
Schweigen.
»Oberflächlich betrachtet ist es nicht viel«, erklärte er. »Trotzdem, auf die altmodische Weise kriege ich nichts auf die Reihe. Wie wäre es damit: Ich mache ein paar Anrufe und versuche, die Theorie zu widerlegen. Das ist die wissenschaftliche Methode, stimmt’s? Ich jage die wie-heißt-sie-doch-gleich …«
»Die Nullhypothese.«
»Exakt, die Nullhypothese in die Luft. Ich finde raus, wer Reedy bearbeitet hat, rede mit den Kollegen in Cambridge, sehe mal, was wirklich passiert ist. Ich kann auch überprüfen, ob der Freund dieser Keramikerin noch hinter Gittern sitzt. Wie waren ihre Namen?«
»Valerie Brusco und Tom Blaskovitch«, antwortete ich. »Er ist vor drei Jahren verurteilt worden.«
»Noch ein kreativer Typ?«
»Ein Bildhauer.«
»Genau wie Kipper – vielleicht noch ein rachsüchtiger Meißelmann. Ah, die Kunstszene. Wie ich zu meiner Mutter sage, man weiß nie, wann der Job dich auf ein höheres Niveau erhebt.«
16
In den nächsten Wochen schwanden unsere Hoffnungen allmählich. Es gab keine neuen Anhaltspunkte im Fall Kipper, und Milo erfuhr nichts über die anderen Morde, was ihn in Hochstimmung versetzt hätte. Er meldete sich bei Petra und hörte von ihr, dass sie mit Baby Boy nicht weiterkam.
Tom Blaskovitch, der Bildhauer-Mörder, war vor einem Jahr aus dem Gefängnis entlassen worden, weil er Punkte wegen guter Führung gesammelt hatte, indem er Kunstkurse für seine Mitinsassen organisierte. Aber er hatte sich in Idaho niedergelassen, einen Job als Mädchen für alles in einer Touristenranch bekommen, und sein Boss war sich sicher, dass er in den Nächten der Morde an Kipper und Lee auch gearbeitet hatte.
Detective Fiorelle von der Polizei in Cambridge erinnerte sich an mich als einen »penetranten Typ, einen von diesen Intellektuellen – ich kenne die Sorte, hier gibt’s jede Menge von denen«. Die Fakten des Mordes an Angelique Bernet ließen keinen wirklichen Zusammenhang mit Baby Boy oder Julie erkennen: Die Leiche der Tänzerin wies ein halbes Dutzend Messerstiche auf und war in einer Gegend der Collegestadt abgeladen worden, die tagsüber gut besucht, aber nachts ruhig war. Keine Strangulation, keine sexuelle Pose; sie war vollkommen bekleidet gefunden worden.
Der Detective, der den Fall Wilfred Reedy bearbeitet hatte, war tot. Milo besorgte sich eine Kopie der Akte. Reedy war wie Baby Boy in einer Gasse der Bauch aufgeschlitzt worden, aber damals waren starke Indizien dafür aufgetaucht, dass es sich um einen Mord im Zusammenhang mit der Drogenszene handelte, den Namen des vermutlichen Täters inklusive: Celestino Hawkins, ein kleiner Dealer, der Reedys Sohn mit frischem Stoff versorgt hatte. Hawkins hatte bereits eine Gefängnisstrafe wegen Körperverletzung mit einem Messer verbüßt. Er war seit drei Jahren tot.
China Marangas Akte war dünn und kalt.
Milo rief Julie Kippers Onkel an und sagte ihm, er solle sich keine Hoffnungen auf eine rasche Lösung des Falles machen. Der Onkel blieb freundlich, und deshalb fühlte sich Milo noch schlechter.
Allison und ich verbrachten mehr
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