Blutnacht
Für alle Fälle zog er die Maske aus der Tasche und streifte sie sich über das Gesicht. Aus Army-Beständen, schwarzes Lycra, zwei Löcher für die Augen. Auf diese Weise würde sich jeder, dem er bei seinem Abgang über den Weg lief, nur an einen klassischen nächtlichen Einbrecher erinnern, der direkt einem Film entsprungen zu sein schien.
Die Maske würde jeden vernünftigen Menschen abschrecken und das Risiko einer Konfrontation verringern.
Stahl würde alles tun, um sich selbst zu schützen. Aber er zog es vor, niemanden verletzen zu müssen.
27
Der Anruf kam, als Milo und ich an der Third Street Promenade in Santa Monica unser Frühstück einnahmen. Ein grauer Himmel verhieß Regen, und nur wenige Passanten kamen an unserem Tisch im Freien vorbei. Das Wetter hielt einen dürren Mann allerdings nicht davon ab, für ein bisschen Kleingeld schlecht Gitarre zu spielen. Milo steckte ihm einen Zehner zu und sagte ihm, er solle sich einen anderen Platz suchen. Der Mann zog sieben Meter weiter und fuhr mit seinem Geheul fort. Milo wandte sich wieder seinem Denver-Omelett zu.
Es war zwei Tage nach meinem Besuch im Charter College, Kevin Drummond war immer noch nicht in seinem Apartment aufgetaucht, und Eric Stahl hatte den Eindruck, er würde so bald nicht zurückkehren.
»Warum nicht?«, fragte ich.
»Stahls rein gefühlsmäßiger Eindruck, laut Petra«, sagte er.
»Ist der was wert?«
»Wer weiß? In der Zwischenzeit ist die einzige neue Information über Drummond, dass er schwul ist. Petra hat herausgefunden, dass er sein Postfach hauptsächlich dazu benutzt hat, sich schwule Pornographie schicken zu lassen.« Er legte seine Gabel hin. »Glaubst du, das ist relevant?«
»Wir haben von jemandem gesprochen, der sexuell verwirrt –«
»Dann hat er seine Verwirrung vielleicht überwunden. Was ist mit Szabo und Loh? Reiche Schwule, die ein schönes Leben führen. Das wäre ein mögliches Ziel für Eifersucht.«
»Szabo und Loh waren nicht im Visier, und ihr Haus war nur Schauplatz eines Mordes. Wer immer Levitch getötet hat, war hinter dem her, was Levitch hatte.«
»Talent.« Er warf einen Blick auf den heulenden Gitarristen. »Da ist ein Kerl, der nicht in Gefahr schwebt.«
»Gibt es was Neues über Kipper?«, fragte ich.
»Er hat eine Freundin. Viel jünger – Ende zwanzig, sehr gut aussehend, heißt Stephanie. Sie arbeitet als Anwaltsgehilfin für eine Kanzlei in seinem Gebäude. In den letzten Tagen hat Kipper sie in der Öffentlichkeit begleitet. Sie ist auch blond, daher war vielleicht gar nicht Julie bei Kipper zu Besuch. Wenn ich nicht die Artikel in SeldomScene hätte, die Julie mit den anderen verbinden, und eine vorläufige Übereinstimmung zwischen den bei ihr und Levitch benutzten Drähten, würde ich mich fragen, ob Kipper nicht eine zweite Heirat in Erwägung zieht. Exfrauen können sich da als problematisch erweisen, sowohl in finanzieller wie in emotionaler Hinsicht. Und wir wissen von Kippers Nachbarn, dass er rachsüchtig sein kann.«
»Julie macht Ärger, und er bringt sie zum Schweigen.«
»Genau«, sagte er. »Zu dumm. Ich kann den Kerl nicht leiden – irgendwas an ihm …«
Er schob sich ein Stück Omelett in den Mund, schluckte Kaffee hinunter.
»Stephanie«, sagte ich. »Hast du mit ihr gesprochen?«
»Ich hörte, wie ihre Freundin sie so nannte, als sie auf die Damentoilette gingen.«
»Du hast dich in dem Gebäude rumgetrieben?«
»Zu dem Zeitpunkt schien es eine sinnvolle Maßnahme zu sein.« Er zuckte mit den Achseln. Sein Telefon klingelte.
»Sturgis … hallo … wirklich? … Ja, okay, Alex ist hier bei mir, ich bring ihn am besten gleich mit …« Er schaute auf seine Timex. »Von da, wo wir sind, fünfundvierzig Minuten. Ja. Danke. Bye.«
Er schaltete das Telefon aus, steckte es in die Tasche und sah auf meinen halb aufgegessenen Toast. »Das war Petra. Wie wäre es, wenn du das mitnimmst?« Er schob Geld unter den Teller, winkte dem Kellner zu und stand auf.
»Was ist los?«, fragte ich, als ich ihm auf die Promenade hinaus folgte.
»Eine tote Frau«, sagte er. »Eine tote Rothaarige.«
Der Obduktionsraum, der von fleckenlosen Fliesen und Edelstahl dominiert wurde, war ruhig und angenehm kühl. Petra, Milo und ich standen neben einer von einem Tuch bedeckten Leiche auf einem Edelstahltisch, während eine leise sprechende Assistentin namens Rhonda Reese irgendwelche Unterlagen überprüfte. Reese war Mitte dreißig, hatte kastanienbraune Haare, eine
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