Blutnächte - 2
einem Jahrhundert nicht mehr gegeben.
Je mehr Pascal darüber nachdachte, umso mulmiger wurde ihm zumute. Etwas stimmte hier nicht.
Dennoch entdeckte er Pierre an der Bar, an seinem gewohnten Platz hinter der Theke. Er polierte die Gläser, schenkte Getränke aus und bedachte jeden der Gäste mit seiner aufgesetzten Freundlichkeit. Er verhielt sich vollkommen normal, ganz so, als wollte er sich von den Geschehnissen um sich herum distanzieren.
Pascal zog die Nase kraus. Diese ganze Situation widerte ihn an. Er begriff, dass sein eigener Einfluss augenscheinlich weit unter dem von Andrew lag. Zwar galt er als engster Vertrauter und rechte Hand des Clubchefs, doch selbst hatte er nie ein besonderes Verhältnis zu anderen seiner Art gepflegt. Die letzten Jahre war er lediglich auf der Suche nach seinem eigenen Vergnügen gewesen. Mehr als lose Bekanntschaften existierten zwischen ihm und den Vampiren des Clubs nicht. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie viel Zeit und Mühe Andrew all die Jahre aufgewandt hatte, um seine Position zu festigen. Er kannte jeden einzelnen Vampir und Gast beim Namen. Kein neues Gesicht war ihm je entgangen.
Und was war mit ihm?
Er musste wieder an Isabella denken. Eine geheimnisvolle Frau mit verführerischen Rundungen und bronzefarbener, samtiger Haut. Voll und lang fielen ihre glänzenden schwarzen Haare ihren schmalen Rücken hinunter. Eine Sirene. Eine Versuchung.
Doch gleichzeitig sah er sie verängstigt vor sich, in der dunklen Kerkerecke zusammengekauert. In der letzten Nacht hatte Pierre nur mit ihr gespielt und sie weitestgehend verschont. Nicht auszudenken, wie weit er beim nächsten Mal gehen würde. Zudem galt seine skurrile Freundin Chantal nicht gerade als zimperlich, was den Umgang mit ihren menschlichen Spielzeugen anging. Es ging das Gerücht um, sie habe schon mehr als einem von ihnen das Leben ausgesaugt. Sollte dies tatsächlich stimmen, war sie äußerst geschickt im Spurenbeseitigen. Andrew hatte ihr niemals etwas nachweisen können.
Pascal verzog den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln. Andrew hätte ganz sicher gewusst, wer diese Isabella war und wo er sie finden konnte.
Und er?
Er verfluchte sich für seine Unwissenheit und das Desinteresse, das er all die Jahre an den Tag gelegt hatte. Nun stand er im „Club Noir“ – seinem Zuhause – und fühlte sich verlassener als jemals zuvor an einem fremden Ort. Isabella konnte sich überall in Brüssel aufhalten. Ebenso gut hätte er nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen suchen können. Er hatte keinerlei Anhaltspunkt! Oder etwa doch?
Natürlich! Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte tatsächlich einen Anhaltspunkt! Diese Blondine. Pascal versuchte sich an ihren Namen zu erinnern. Alice? Er war sich nicht ganz sicher, aber ihr blasses Gesicht und die naiv dreinblickenden blauen Augen hatte er noch gut in Erinnerung. Sie musste im Club sein. Auch wenn Pascal keine engeren Bekanntschaften pflegte, wusste er doch, dass es sich bei diesem Mädchen um eine regelmäßige Besucherin handelte.
~~~
Pascal fand unvermittelt zu seiner alten, überlegenen Form zurück. Wie ein hungriger Tiger pirschte er durch das Club-Geschehen. Er war auf der Suche nach Alice. Alles andere schloss er aus seinen Wahrnehmungen aus, so auch das Mädchen, das an einer Stange tanzte und ihm einen koketten Augenaufschlag schenkte. Oder ein anderes, das sich redlich bemühte, ihn zu begrabschen. Er schob sich einfach an ihnen vorbei.
Dann erkannte er sie. Das platinblonde Haar trug sie an diesem Abend hochgesteckt. Einige wilde Strähnen standen zu allen Seiten ab. Ihre Haut war unglaublich hell. Beinahe durchscheinend. Feine blaue Linien, die ihr spärlich bedeckter Körper entblößte, lockten ihn. Verhöhnten ihn. Er spürte seinen brennenden Durst. Zum letzten Mal hatte er sich an Isabella genährt.
Verflucht! Er hatte sich an ihr vergangen. Wie schändlich von ihm, ihre Lage derart auszunutzen. Und wie unverständlich, dass ihn diese Tatsache so sehr bekümmerte!
~~~
Das Lachen auf Alice’ Lippen erstarb ganz plötzlich. Eine finstere Welle der Bedrohung rollte direkt auf sie zu. Schon jetzt schnappte sie nach Luft, glaubte, kaum mehr atmen zu können. Ein schmerzhafter Stich durchdrang ihren Brustkorb. Schließlich durchspähte sie den schummerigen Raum und stellte erschrocken fest, dass sich der eisige Blick eines Vampirs auf sie richtete. Er kam näher.
Es war der Blonde, den sie in Andrews Büro vorgefunden
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