Blutnächte - 2
Wort ließ er sie einfach stehen. Wenn er wollte, konnte er sich so schnell bewegen, dass menschliche Augen ihn nicht wahrnahmen. Auf eben diese Art entfernte er sich von ihr.
Im nächsten Moment hatte er ihre Existenz auch schon vergessen. Alles, was er spürte, war die Gegenwart von Isabella. Sie hielt sich in ihrer Wohnung auf. Sie war ihm so unglaublich nahe, dass die Erinnerung an ihren Körper auf seiner Haut brannte.
Kurz verwünschte er sich für die Schwäche, die sie in ihm auslöste. Dann schlüpfte er mit einem seiner vampirischen Tricks durch die Terrassentür in die Wohnung.
Unbändige Gefühlswelt
Isabella musste nicht lange warten. Louisa meldete sich gleich nach dem zweiten Klingelton am anderen Ende der Telefonleitung. Sie tat, als hätte sie bereits mit dem Anruf der Freundin gerechnet. Ihre Besorgnis war überpräsent, so dass Isabella am liebsten gleich wieder aufgelegt hätte. Sie wollte ein unbefangenes Gespräch führen. Doch Louisa erdrückte sie mit ihrer Fürsorglichkeit.
„Ich hätte gleich bei dir bleiben sollen“, ereiferte sie sich. „Wie konnte ich dich nur alleine lassen? In deinem Zustand.“
„Du tust ja gerade so, als wäre ich sterbenskrank.“ Isabella sank verzweifelt in ihr Sofa zurück. Sie hielt den Hörer zwischen ihrem Ohr und der Schulter eingeklemmt. „Es ist alles in Ordnung. Wirklich.“
Louisa schwieg für einen kurzen Moment.
„Du rufst an, um mir das zu sagen? Dass alles in Ordnung ist?“ Sie schnappte nach Luft.
Isabella seufzte. „Bitte, mach dir keine Sorgen. Ich wollte nur mit irgendjemandem sprechen.“
„Irgendjemand“, wiederholte Louisa. Sie klang beleidigt.
Noch während Isabella sich fragte, was ihre Freundin eigentlich von ihr erwartete, verlangte etwas ganz anderes nach ihrer Aufmerksamkeit. Plötzlich erstarrte sie vor Schreck. Ihr Herzschlag schien kurz auszusetzen. Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, bis sie beinahe wie eine kalkweiße Statue wirkte. Bewegungsunfähig starrte sie den Eindringling an.
Da war er. Der Blonde.
„Isabella?“
Sie hatte gar nicht bemerkt, wie ihr der Hörer aus der Hand gefallen war. Nervös griff sie ihn wieder auf.
„Ich muss jetzt Schluss machen. Ich melde mich später wieder.“
Entgegen Louisas lautstarken Protestes legte sie auf. Sie starrte den Eindringling an.
Er kam aus seinem düsteren Versteck gekrochen und richtete sich direkt vor ihr zu seiner vollen, atemberaubenden Größe auf. Seine eisblauen Augen blitzten. Sie durchbohrten Isabella bis auf den Grund ihrer Seele. Es nötigte ihr ein Schaudern ab.
Umschmeichelt wurden seine markanten Gesichtszüge von den Strähnen seines langen blonden Haars. Sie wehten leicht in dem Wind, der durch ein offenes Fensters in das Zimmer strömte.
Genauso hatte Isabella ihn sich vorgestellt. Es war wie ein Traum, aus dem sie niemals erwachen wollte. Sie wünschte sich so sehr, dass er sie augenblicklich an sich riss, ihren Oberkörper zurückbog, um sanft ihre Kehle entlangzustreichen und sie zu küssen. Vielleicht würde er sie beißen. Das war ihr allerdings vollkommen gleichgültig. Allein der Gedanke, die Hitze der Lust mit ihm gemeinsam zu spüren, beflügelte sie, und ließ sie alles andere vergessen.
„Nimm mich!“, wollte sie ihm entgegenschreien, wurde sich aber im gleichen Moment ihres lächerlichen Verhaltens bewusst. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, als hätte sie tatsächlich etwas dergleichen gesagt.
„Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Seine Stimme klang sanft. Sie schmeichelte ihrem Gehör. Dazu bewegte er sich vorsichtig auf sie zu. Wie eine Raubkatze. War sie etwa seine Beute?
Erschrocken keuchte Isabella auf. Mit einem Satz sprang sie vom Sofa und brachte eine angemessene Entfernung zwischen sich und ihn. So leicht würde sie es ihm nicht machen! In der Opferrolle gefiel sie sich ganz und gar nicht.
Er blieb stehen. Ruhig wartete er ab, was sie als nächstes tun würde. Doch auch sie hielt inne – und so standen sie sich eine Weile lauernd gegenüber. Beide versuchten den anderen einzuschätzen.
„Warum folgst du mir?“, platzte es schließlich aus ihr heraus. Sie hatte die Stille nicht länger ertragen können. Rückwärts stolperte sie in eine Ecke des Raumes. Gefangen in ihrem eigenen Unterschlupf fühlte sie sich wie ein Tier in der Falle. Hilflos. Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Ihre Beine knickten ein, und sie sank ganz plötzlich zu Boden. Wie ein Häufchen Elend blieb sie dort
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