Blutnächte - 2
löste sich aus den Schatten. Sie hockte angriffslustig auf dem Dach über dem Balkon und starrte auf Andrew hinab.
„Endlich“, zischte das Wesen und sprang. Katzengleich landete es auf den Füßen und richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf. Obwohl Andrew nicht gerade von kleinem Wuchs war, überragte das Wesen ihn beinahe um Kopfeslänge. Ein düsterer Mann, dessen grüne Augen gefährlich aufblitzten. Sein hartes, kantiges Gesicht zeigte eine respektsgewohnte Miene. Allein dieser Ausdruck wirkte einschüchternd. Andrew kannte diesen Mann allerdings schon eine halbe Ewigkeit und konnte sich sicher sein, dass er von ihm nichts zu befürchten hatte.
Der Düstere sah an ihm vorbei. Er betrachtete die schlafende Jesse. Ihre helle Haut schien beinahe zu glänzen. Das blonde, volle Haar schmeichelte ihren weichen Zügen. Sie war schön – und so jung.
Plötzlich wurde ihre Atmung unruhig, als spürte sie einen Anflug von Gefahr. In der Tat war er ein gefährliches Wesen der Dunkelheit. Er wollte ihr einen Traum assoziieren. Etwas, das ihre oberflächliche Wachsamkeit gänzlich zunichte machte. Überraschenderweise stieß er auf eine Barriere.
Er legte den Kopf schief, als er Andrew nun ansah.
„Sie gehört dir?“
„Ja.“ Andrew wollte grinsen. Aber er besaß noch immer zu viel Respekt vor dem Düsteren. Er konnte sich selbst nicht erlauben, seine Haltung zu lockern. Es herrschte diese verfluchte Spannung zwischen ihnen. Andrew hatte sich in den letzten Jahren verändert. Die alleinige Kontrolle über den Club, die Verantwortung, nicht zuletzt die damit verbundene Macht, aber vor allem seine bezaubernde Geliebte. Er ging seinen eigenen Weg – ohne den Düsteren, der ihn zuvor durch die Jahrhunderte geleitet hatte.
„Das habe ich nicht erwartet“, gab dieser zu.
„Du bist zu lange fort gewesen, Cedric.“
Seine Gesichtszüge blieben hart. „Es waren nur ein paar Jahre. Nichts im Vergleich zu der Ewigkeit.“
Plötzlich fühlte er sich schwach. Eisige Stiche zerfetzten seinen Verstand. Seine Hände fassten nach der Balkonbrüstung. Er musste sich abstützen. Aus eigener Kraft konnte er sich nicht länger aufrecht halten.
Andrew machte einen Schritt vor. Die offensichtliche Schwäche des Düsteren schockierte ihn. Er fasste Cedric bei der Schulter, doch dieser wehrte ihn ab.
„Du bist verwundet!“
„Ein Kratzer.“ Der Düstere lachte bitter auf. „Nach über einem Jahrtausend – glaubst du wirklich, dass mich da eine Kleinigkeit wie diese umbringt? Und selbst wenn … Glaub mir, mein Freund, es ist mir egal.“
„Warum bist du dann hier, wenn es dir so egal ist?“
„Es sind die alten Kräfte.“ Cedric unterdrückte ein Keuchen. „Jemand hat das Grab geöffnet.“
Um Andrew herum schien es totenstill zu werden. Er wusste, was dies zu bedeuten hatte. Stumm ging er einige Schritte auf und ab. Der Düstere beobachtete ihn dabei. Er grinste so gefährlich, wie es seinem Ruf gerecht wurde. Seine Augen funkelten hell. Beinahe schien er sich über seinen ehemaligen Schüler lustig zu machen.
„Hast du etwa Angst, dich ihnen zu stellen?“
„Nein“, gab Andrew schlicht zur Antwort. Allerdings warf er einen eindeutigen Blick in Jesses Richtung und verlieh seinen Befürchtungen somit eine Gestalt. Wie sollte er seiner Gefährtin erklären, was ihn erwartete? Ein Kampf gegen die finsteren Höllenmächte. Das würde es ohne Frage werden. Doch ehe Cedric darauf eingehen konnte, nahm Andrew das Gespräch wieder auf.
„Wer ist es?“
„Der, den du einst aus Brüssels Untergrund in unser Heim geholt hast.“ Eine deutliche Rüge schwang in dieser Aussage mit. Cedric hatte sich in all den Zeiten nie mit Pierre anfreunden können. Lediglich um der Sympathie Andrews willen hatte er das neue Familienmitglied aufgenommen.
„Es tut mir leid, dass ich im Unrecht war.“
Doch Cedric wischte diese Entschuldigung mit einer Handbewegung fort. Mit beiden Händen hielt er sich nun an der Balkonbrüstung fest. Seine Atmung ging schwer. Die Erschöpfung zeichnete ihn.
„Es ist unwichtig, wer von uns im Recht gewesen ist.“ Cedric rang mit sich selbst. „Es geht um mehr als das.“
In diesem Moment wurde Andrew klar, dass sie mit ihrem Gespräch bereits zu viel Zeit vergeudet hatten. Der Morgen kündigte sich an. Er zwang sie zum Warten.
Dienerin der Dunkelheit
Isabella hatte lange und intensiv geträumt. So intensiv, dass sie sich bei ihrem Erwachen nicht im Mindesten ausgeruht
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