Blutnebel
immer das Gefühl gab, nackt und schutzlos zu sein.
Nun strahlte der junge Officer wieder. »Das ist ein wirklich guter Rat, Ms Clark. Vielen Dank dafür. Das nehm ich mir zu Herzen. Ich werde hier weiterkommen, und wer weiß? Vielleicht bin ich dann eines Tages ein Kollege von Ihnen.«
»Viel Glück«, sagte sie und ging hinaus. Obwohl das größte Glück, das er haben konnte, in Wirklichkeit darin bestand, dem legendären Ex-FBI-Mann gar nicht erst aufzufallen.
Denn Raiker würde ihn mit Haut und Haaren zum Frühstück verspeisen.
»Devlin Stryker, du alter Hund. Jagst du immer noch Geister und Kobolde und so Zeug?«
Dev grinste und setzte sich bequemer in den abgenutzten Ledersessel im Haus seines Großvaters. Der Klang von Denny Pruetts Stimme war so angenehm, dass er sich dafür tadelte, dass er seinen Freund nicht regelmäßiger anrief.
Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich den Mann am anderen Ende der Telefonleitung vorzustellen. Bestimmt saß er mit seiner dunkel gerahmten Intellektuellenbrille und den schütteren schwarzen Haaren an einem Schreibtisch, auf dem sich wissenschaftliche Bücher, Arbeiten von Studenten und mindestens zwei Computer drängten. Auch wenn Wochenende war. In Devs Erinnerung sah Dennys häusliches Arbeitszimmer fast genauso aus wie das, das er in seinem Elfenbeinturm auf dem Campus der NYU besaß. Er war entweder in dem einen Arbeitszimmer oder im anderen.
»Suchst du immer noch hinter jeder Ecke nach Gott?«
Denny lachte herzhaft. »So spricht man doch nicht mit dem Leiter der Theologischen Fakultät, Junge. Das ist ja Blasphemie!«
»Leiter der Theologischen Fakultät?« Dev freute sich aufrichtig. »Herzlichen Glückwunsch. Da ist Patti sicher stolz auf dich.«
»Allerdings. Sie hat gerade einen Zuschuss für eine Längsschnittstudie über die Auswirkungen von Gruppengebeten auf unheilbar kranke Patienten bekommen und …« Der Mann unterbrach sich abrupt. »Aber deshalb rufst du ja nicht an, also halte ich jetzt den Mund und lasse dich reden.«
»Stimmt, aber das heißt nicht, dass es mich nicht interessiert. Ich muss ein paar Recherchen über einen der Gründungsväter des Städtchens hier anstellen. Anscheinend hat er sich intensiv mit Religion beschäftigt, und da dachte ich an dich.«
»Wie alt?«
Dev hörte die Computertastatur am anderen Ende klicken. »Kurz vor der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert – 1892 oder so. Was ich bis jetzt herausgefunden habe, ist, dass ein Mann namens Rufus Ashton aus Pennsylvania in den Süden gekommen ist und sich in Buffalo Springs, Tennessee, im heutigen Spring County niedergelassen hat.« Er sah auf die Notizen, die er sich im Museum und in der Bibliothek gemacht hatte. »Unter anderem hat er hier die erste Kirche gegründet, und die steht immer noch. Heute dient sie der methodistischen Gemeinde, doch das passt irgendwie nicht mit den alten Unterlagen über ihre ursprüngliche Glaubensrichtung zusammen. Ich wüsste gern, welcher Richtung der Mann anhing, als er sie gegründet hat.«
»Das finde ich für dich raus. Aber nur, weil es mir Spaß macht, wenn du mir etwas schuldest.«
Dev streifte die Schuhe ab, rutschte tiefer in den Sessel und machte es sich für ein langes Gespräch mit seinem alten College-Kumpel bequem. Er hatte zwar noch nicht zu Abend gegessen, und es wurde bereits dunkel, doch er hatte die Stimme des anderen Mannes viel zu lange nicht mehr gehört. »Mist, also meiner Meinung nach sind wir quitt. Ich hab doch dein Büro von dem Geist befreit, der darin gespukt hat.«
»Eine Kamera aufzustellen, um Professor Hammond dabei zu filmen, wie er in meinem Büro seine Doktorandinnen begrapscht, kann man wohl kaum als Exorzismus bezeichnen.«
»Doch, wenn es …« Dev unterbrach sich abrupt, als ein derartiges Krachen ertönte, dass er auf seinem Sessel in die Höhe schoss.
»Was zum Teufel war das?«
»Ich ruf dich zurück, Denny.« Ohne sich um das Glas zu kümmern, das zerbrochen auf dem Boden lag, klappte Dev sein Handy zu, lief zu dem zerbrochenen Vorderfenster und spähte hinaus. Gerade noch rechtzeitig, um einen dunklen Pick-up voller Rostflecken um die Ecke rasen zu sehen.
Er wandte sich um und blickte im Zimmer umher. Als er den Ziegelstein sah, der durchs Fenster geworfen worden war, kniff er die Lippen zusammen. Es war keine Botschaft darum gebunden. Nichts so Dramatisches. Der Stein an sich war Botschaft genug.
Irgendjemand hier hatte wohl was gegen ihn. Und obwohl er den Pick-up nicht erkannt
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