Blutnebel
verborgene Reserviertheit heraus. Er drehte sein Lächeln ein bisschen weiter auf, um die Frau milde zu stimmen. »Da Ramsey und ich uns in ähnlicher Form für die Geschichte der Legende interessieren, dachten wir, wir ersparen dir einiges an Arbeit, wenn du es uns beiden gleich auf einmal erzählen kannst.«
Sie wehrte ab. »Das hast du doch alles schon mal gehört, Devlin. Ich weiß nicht, warum du es dir noch mal anhören willst.«
Er verschränkte die Arme und lächelte sie gelassen an. »Ich möchte gern mein Gedächtnis auffrischen. Und zufällig habe ich heute keine Begleitung fürs Mittagessen, also dachte ich, dass du mir erlaubst, wenn wir hier fertig sind, deinen Ruf zu ruinieren, indem du dich mit einem jüngeren Mann in der Stadt sehen lässt.«
»Offen gestanden könnte mein Ruf eine kleine Aufbesserung vertragen.« Nachdem sie ihren Charme wiedergefunden hatte, bedeutete sie ihnen, ihr in einen weiter hinten gelegenen Raum zu folgen.
»Wenn jemand reinkommt, muss ich mich um ihn kümmern, aber bisher war es heute Morgen so ruhig, wie wenn ein Mäuschen auf Watte pinkelt. Setzt euch doch an den Tisch da. Darf ich euch Kaffee anbieten? Ich hab vor einer Stunde frischen gemacht.«
»Für mich nicht, danke«, antwortete Ramsey.
»Ich trinke eine Tasse, Donnelle. Mit Milch, wenn du welche hast.« Eine dritte Tasse Kaffee würde ihm nicht schaden, und die Beschäftigung als Gastgeberin würde Donnelles Nerven beruhigen.
Er spürte die Ungeduld, die von Ramsey ausging, als sie mehrere Minuten lang Smalltalk trieben, sich Bilder von Donnelles jüngster Enkelin ansahen und die dazugehörigen anerkennenden Geräusche machten. Dev verstand sich auf die Kunst, sein Gegenüber in angenehme Stimmung zu versetzen, um ihm dann zum passenden Zeitpunkt und in eigenen Worten die Informationen abzuluchsen, die er haben wollte.
Ramsey, so mutmaßte er, war sicher ebenso geübt darin, sich Informationen zu beschaffen, doch wahrscheinlich würden ihre Methoden hier in der Gegend als etwas grobschlächtig empfunden werden.
Schließlich machte es sich Donnelle auf einem Stuhl ihnen gegenüber bequem und hob die Tasse zum Mund. »Ein gutes Gefühl, mal ein paar Minuten zu sitzen«, gestand sie. »Ich schwöre, hier gibt es jede Woche genug zu tun, dass ich den ganzen Tag auf Achse bin.«
»Ich bin dir dankbar, dass du dir Zeit für uns nimmst. Wahrscheinlich muss ich dir nicht erst sagen, dass Beau Simpsons Tod erneut Gerede über die Legende aufgewirbelt hat.«
»So ist es doch immer. Ich erinnere mich noch an letztes Mal, vor allem nachdem dein Daddy im Gefängnis umgebracht worden war, da konnten sich die Leute hier wegen der ganzen Sache gar nicht mehr beruhigen.«
Er spürte mehr, als dass er es sah, wie Ramsey angesichts dieser Worte zusammenzuckte. Es fiel ihm selbst schwer, seine Erschütterung zu verbergen. Manche Erinnerungen schmerzten wie frische Wunden, ganz egal, wie viel Zeit vergangen war.
»Die Legende beruht selbstverständlich auf Fakten.« Er erkannte den Ton, den die Stimme der älteren Frau angenommen hatte, und wusste, dass sie nun in die Rolle der Historikerin geschlüpft war. »So wie viele abergläubische Legenden, ehe sie ausgeschmückt werden. Was wir wissen, worüber wir Unterlagen haben, ist, dass der rote Nebel zum ersten Mal vor fast neunzig Jahren gesichtet wurde.« Ihr Löffel klirrte gegen die Tasse, während sie innehielt, um mehr Zucker hineinzurühren. »Es gibt natürlich verschiedene Versionen der Legende. Eine besagt, dass ein Mann namens Harold Bean 1922 in einem Anfall von Eifersucht seine Frau umgebracht haben soll. Angeblich hat er sie mit einer Axt erschlagen, hinter dem Holzstoß draußen vor ihrer Hütte. Er hat die Leiche versteckt, doch ihr Blut war an der Luft gasförmig geworden und hatte den roten Nebel erzeugt. Ihr Liebhaber, ein Mann, der weder identifiziert noch gefasst werden konnte, erkannte das Blut seiner Geliebten an dem roten Dunst und kam, um sie zu rächen, wobei er Bean mit derselben Axt getötet und seine Leiche an Ort und Stelle liegen gelassen hat.«
»Das sind aber nur zwei Todesfälle«, bemerkte Ramsey, die bisher ganz untypisch für sie geschwiegen hatte, dachte Dev, während er sich erneut fragte, warum ihr die jüngsten Ermittlungsergebnisse derart zugesetzt hatten.
Donnelle nickte. »Name und Datum jedes Todesfalls sind in der Chronik vermerkt, die ich geführt habe. Ursprünglich habe ich alles handschriftlich verfasst, doch jetzt will
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