Blutnebel
der Museumsvorstand, dass alles in den Computer eingegeben wird.« Sie lächelte kokett. »Ich muss zugeben, dass ich mit der Technik nicht so flink bin, wie ich sollte, also geht es nur langsam voran … Ein weiterer Todesfall hat sich binnen Tagen nach der Sache mit den Beans ereignet, aber in dieser Darstellung hängt er nicht damit zusammen. Eine gewisse Lora Kuemper wurde tot im Brunnen ihrer Familie gefunden. Es hieß, sie müsse spätnachts auf dem Rückweg von der Außentoilette gestolpert und hineingefallen sein.«
»Aber in anderen Versionen hängt ihr Tod mit den anderen zusammen?«
Durch eine winzige Veränderung ihrer Mimik gab Donnelle ihren Ärger über Ramseys Frage zu erkennen. »In einer anderen Fassung wird der Geschichte ein etwas schlüpfrigerer Dreh verliehen. Darin heißt es, dass Lora und Wilma Bean eine lesbische Liebesaffäre miteinander hatten und dass Lora diejenige war, die Rache geübt hat, nur um dann auf die Farm zurückzukehren, die sie mit ihrem Mann bewirtschaftete. Und dann hat er sie um ihrer Sünden willen im Brunnen ertränkt.«
Allmählich kamen Dev die Geschichten bekannt vor. Er hatte sie im Lauf der Jahre mehrmals in der einen oder anderen Form zu hören bekommen.
»Die dritte Version gibt der Geschichte eine interessante Wendung. Anscheinend hatten die Beans ein Negermädchen, das als Haushaltshilfe bei ihnen gearbeitet und gewohnt hat. Es gab Gerüchte, wonach Mr Bean und das Mädchen womöglich auf … vertrauterem Fuß miteinander standen, als ihnen guttat. Als Harold eines Tages beim Arbeiten war, forderte Mrs Bean das Mädchen auf, mit ihr in den Wald zu gehen und einen Korb mitzunehmen, um unterwegs Beeren zu pflücken. Dann hat sie sie dort im Wald umgebracht und ihre Leiche in den Ashton’s Pond geworfen, wo sie nie gefunden wurde. Bei Harolds Rückkehr vom Feld war er vom roten Nebel umgeben und wusste sofort, was seine Frau getan hatte. Als er sie mit seinem Verdacht konfrontierte, hat sie ihn mit der Axt angegriffen und ihm schwere Verletzungen zugefügt, ehe er ihr die Axt entreißen konnte und sie umgebracht hat. Schließlich ist dann auch er an seinen Verletzungen gestorben.«
»Womit Lora Kuempers Tod nichts mit der Sache zu tun hat.«
Donnelle nickte. »Es gibt ähnliche Stränge in allen drei Versionen, aber sie laufen nicht alle zum selben Bild zusammen. Da das farbige Mädchen der Beans nie gefunden wurde, kann sie im Grunde nicht als vierter Todesfall gezählt werden.« Die Frau zuckte die Achseln. »Vielleicht ist sie auch in den Norden gegangen und hat sich in der Stadt einen Job gesucht.«
»Wie lange hat es gedauert, bis sich das Muster wiederholt hat?«, fragte Ramsey.
»Bis 1950«, antwortete Donnelle wie aus der Pistole geschossen, ehe sie erneut an ihrem Kaffee nippte. »Von damals gibt es wesentlich genauere Aufzeichnungen. Der rote Nebel wurde drei Tage vor einem Todesfall gesichtet. Dann fand man Cal Hopkins in seiner Garage, aufgeknüpft an einem Balken. Seine Nachbarn, Lucien und Rachel Tarvester, haben beschworen, sie hätten zur ungefähren Zeit seines Todes ein Auto von seinem Haus wegfahren sehen. Doch sie konnten die Geschichte nicht besonders lange erzählen, da Lucien nur eine knappe Woche später von einem Auto überrollt wurde, dessen Fahrer Fahrerflucht beging. Er starb im Krankenhaus von Knoxville. Seine Frau hat ihre Sachen gepackt und ist noch in derselben Woche weggezogen. Keine zwei Monate später ist das Haus, das sie sich in Nashville gemietet hatte, abgebrannt, während sie schlief.«
Dev warf einen Blick auf die Notizen, die sich Ramsey machte. Roter Nebel als Vorbote der Todesfälle oder als Folge davon?
»Ich glaube, ich werde mir nach dem Mittagessen mal diese geschriebene Chronik ansehen, Donnelle«, sagte Dev. Er hatte vor, sich näher mit den Todesfällen zu beschäftigen, die an den genannten Tagen vorgefallen waren. Bis jetzt hatte er auf dem Friedhof von Buffalo Springs noch keine Tests durchgeführt, doch er musste vorsichtig sein, wenn er es jetzt tat. Nichts brachte die Leute mehr in Rage als die Vorstellung, dass jemand die Totenruhe ihrer geliebten Anverwandten störte. Doch er wollte unbedingt wissen, ob es an den Gräbern derjenigen, die in einer früheren Generation mit dem roten Nebel in Verbindung gebracht worden waren, irgendwelche messbaren Auffälligkeiten gab.
Ramsey sah auf die Uhr. »Ich muss gehen.« Er vernahm echtes Bedauern in ihrer Stimme. Als sie aufstand, erhob er sich ebenfalls,
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