Blutnebel
Vermieterin, hatte ihnen gleich zu Beginn mitgeteilt, dass die Wohnung möbliert vermietet worden war und die Mieterin pünktlich jeden Monatsersten bezahlt hatte.
Die ältere Dame saß auf dem durchhängenden Sofa und umklammerte mit einer Hand die Zeichnung, auf der sie Cassie Frost identifiziert hatte. »Ist ganz für sich geblieben«, sagte sie nun mit zitternder Stimme. »Hat nie Ärger gemacht, hatte aber auch keine Lust zum Plaudern. Ihr Auto steht seit über zwei Wochen am selben Fleck. Bei den Benzinpreisen lohnt es sich einfach nicht zu fahren, wenn man auch zu Fuß gehen kann.«
Powell und einer der Deputys durchsuchten bereits das vor dem Haus geparkte Auto. Deputy Leroy Ross nahm sich die Küche vor, während sich Ramsey im Schlafzimmer zu schaffen machte. Die Wohnung war klein genug, um das gesamte Gespräch zwischen Phyllis und Officer Dade zu hören. Ramsey ging mit behandschuhten Händen die Schubladen der Kommode durch und förderte ein kleines gebundenes Buch zutage.
Nachdem sie es rasch durchgeblättert hatte, wusste sie, was es war. »Ich habe ein Adressbuch gefunden!«, rief sie den anderen zu. Zumindest standen ein paar Adressen darin, mitsamt Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Doch sie hatte in der Wohnung keinen Computer gesehen.
Und es gab auch kein Telefon.
Sie ließ das Adressbuch in einen durchsichtigen Beweismittelbeutel fallen, den sie verschloss und etikettierte, ehe sie hinausging und Phyllis Trammel ansprach. »Hatte Miss Frost ein Mobiltelefon?«
Die ältere Dame sah sie mit tränenfeuchten Augen an. »Ich glaube schon. Ja, ich habe ihr nämlich angeboten, einen Festnetzanschluss legen zu lassen – das hätte dreißig Dollar pro Monat extra gekostet –, aber sie hat abgelehnt und gesagt, sie hätte ein Mobiltelefon, und das würde ihr reichen. Ich hab mir ja selber nie eins gekauft. Sehe nicht ein, warum man sich von diesem ganzen neuen Technikzeug überrollen lassen soll …«
Ramsey hörte nicht mehr hin. »Haben Sie eine Handtasche gefunden, Matthews?« Nur die wenigsten Frauen verließen ohne Tasche das Haus. Falls sie sie mitgenommen hatte, konnte das heißen, dass sie freiwillig mit ihrem Angreifer mitgegangen war. Oder dass er sie sich außerhalb ihrer Wohnung geschnappt hatte.
»Noch nicht.« Er kam mit mehreren Beweismittelbeuteln in den behandschuhten Händen aus dem winzigen Badezimmer. »Ich hab ein bisschen Hasch zum Privatgebrauch und ein Rezept für die Pille von einer hiesigen Apotheke gefunden.«
Als sie im Schlafzimmer fertig war, ging Ramsey in die kleine Küche. Der Deputy durchsuchte soeben sämtliche Schubladen und Schränke. Es gab eine Tür nach draußen mit einem Kastenschloss, das Ramsey entriegelte. Als sie die Tür aufstieß, sah sie, dass sie zu einer wackligen Feuertreppe führte. Sie ging draußen vor der Tür in die Hocke und untersuchte das Schloss, doch es sah nicht so aus, als ob sich jemand daran zu schaffen gemacht hätte. Sie zog die Tür fest ins Schloss, wartete einen Moment und versuchte dann, sie von außen zu öffnen. Es ging nicht.
Sie musste mehrmals mit der Faust dagegenhämmern, ehe Matthews die Tür einen Spaltbreit öffnete. »Hast du schon wieder deinen Schlüssel vergessen, Schätzchen?«
»Alle zwei Türen waren verschlossen, Glenn. Kein Hinweis auf gewaltsames Eindringen.«
Der Beamte zuckte die Achseln und machte ihr die Tür weiter auf. »Vielleicht kannte sie den Kerl und hat ihn reingelassen. Vielleicht ist er aber auch nie hier gewesen, und sie hat ihn woanders getroffen.«
»Der Kneipenbesitzer hat gesagt, dass sie das letzte Mal am Freitag, dem fünften Juni, gearbeitet hat. Am nächsten Tag ist sie nicht zu ihrer Schicht erschienen.« Und nachdem sie um drei Uhr morgens gegangen war und am nächsten Tag um fünf Uhr nachmittags hätte wiederkommen sollen, kannten sie jetzt das Zeitfenster, in dem das Opfer seinem Mörder begegnet sein musste.
»Die Leiche wurde erst am Sechsten gegen Mitternacht gefunden.«
»Ja.« Sie sah den Deputy mit hochgezogener Braue an, während dieser in die Hocke ging, um den Backofen zu inspizieren. Er schüttelte den Kopf.
»Noch nichts.«
»Können Sie mir mal kurz helfen?« Ohne Matthews’ Antwort abzuwarten, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück, wo sie ihren Spurensicherungskoffer mit sämtlichen Gerätschaften hatte stehen lassen, nachdem sie ihn aus dem Auto geholt hatte. Sie zog eine tragbare Leuchte aus der großen Tasche hervor und setzte eine Schutzbrille
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