Blutnebel
er begriff, dass er den Klingelton nicht kannte. Im nächsten Moment schaute er auf ihre Tasche, die auf dem Stuhl zwischen ihnen stand. »Ist das deins?«
Ramsey nahm einen großen Schluck von ihrer Limonade und wich seinem Blick aus, bis das Klingeln verstummte. Erst dann nahm sie das Handy heraus, um die Nummer zu checken. Mit ungerührter Miene steckte sie es wieder ein. »Das kann warten.«
Was bedeutete, dass es nichts mit dem Fall zu tun hatte, in dem sie gerade ermittelte. Sie war viel zu professionell, um andernfalls einen Anruf zu ignorieren.
Er erinnerte sich an das Gespräch, das sie geführt hatte, als er gekommen war. »Dein Bruder?«, riet er. Ihr versteinerter Blick sagte ihm, dass er richtig getippt hatte.
Sie spielte mit dem Strohhalm in ihrem Glas und wirkte dabei seltsam verloren. »Er wird ganz schön sauer sein, dass sein neuester Plan, schnell zu Geld zu kommen, vereitelt worden ist. Am besten warte ich, bis er sich ein wenig beruhigt hat, ehe ich ihm verbal in den Hintern trete.«
Ihre Worte erheiterten ihn nicht, denn der leise Schmerz in ihren Augen war unübersehbar. Er war selbst ohne Geschwister aufgewachsen, doch er wusste genug über Familien, um zu begreifen, dass die Gefühle, die sie auslösten, nicht immer positiv waren. Ganz und gar nicht. »Wenn er dir dein Haus stehlen will, braucht er vielleicht mehr als nur einen verbalen Arschtritt.«
»Ich kann mit Luverne umgehen.« Als sie seinen Blick auffing, atmete sie hörbar aus. »Ich habe das Haus vor Langem gekauft, damit meine Mutter darin wohnen kann.« Sie zuckte mit einer ihrer nackten Schultern. »Sie ist nie aus dieser Sardinenbüchse von einem Wohnwagen ausgezogen, in dem wir aufgewachsen sind, weil sie es als Gelegenheit sieht, jeden Monat zusätzlich Geld zu kassieren, indem sie das Haus vermietet. Ich habe ihr das durchgehen lassen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von beiden auf diese Idee kommen würde.« Ihr Lächeln glich eher einer Grimasse. »Wir stehen uns nicht nahe.«
Er hatte das Gefühl, dass das untertrieben war. Allerdings konnte er das durchaus verstehen. Seine gelegentlichen Anrufe zu Hause waren mehr durch Pflichtgefühl begründet als durch echte familiäre Verbundenheit. Er bedauerte den Mangel an Gefühlen, obwohl ihm klar war, dass es anders nicht ging. Es war schwer zu sagen, wer erleichterter gewesen war, als Dev seine seltenen Besuche zu Hause eingestellt hatte – seine Mutter, sein Stiefvater oder er.
»Anscheinend hat Doc Theisen heute Abend Gesellschaft.«
Dev erkannte den Themenwechsel auf den ersten Blick und folgte Ramseys Nicken in eine Ecke des Lokals. Obwohl der Doc mit dem Rücken zu ihnen saß, war er unverkennbar. Vor allem, als Dev erkannte, mit wem er da am Tisch saß.
Dev hob grüßend die Hand, als die Frau ihm zuwinkte, ehe er sich wieder Ramsey zuwandte. »Das ist seine Tochter Martha Jane. Sie wohnt in Knoxville, kommt aber regelmäßig her, um ihren Vater zu besuchen. Sie und der Doc hatten schon immer ein enges Verhältnis zueinander. Er hat sie allein aufgezogen, nachdem seine Frau ihn vor Jahren verlassen hat. Er hat nie wieder geheiratet.«
Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, die nicht einmal ein Jahr nach dem Tod seines Vaters den Nächsten aus dem Hut gezaubert hatte. Dev griff erneut nach seinem Bier und trank einen Schluck. Er wusste nicht genau, wie er die Sache einschätzen sollte, doch er fand, es sollte einen guten Mittelweg geben zwischen jahrzehntelangem Nachtrauern und einem allzu übereilten Sprung in die nächste Ehe.
Da die Stimmung allzu ernst zu werden drohte, bemühte er sich gezielt um Lockerheit. Er ließ seinen Blick über Ramsey streifen, bis er erneut das Verlangen in ihren Augen fand.
»Du starrst mich an, Stryker.«
»Ich hab mich nur gefragt, wo du deine Knarre versteckt hast.«
»Ob mit oder ohne Waffe, Typen wie dich krieg ich locker in den Griff.«
Er ließ sich die nur halb ernst gemeinte Herausforderung in ihrer Stimme auf der Zunge zergehen und hob sein Bier, um ihr zuzuprosten. »Und ich freue mich schon darauf, in den Griff gekriegt zu werden.«
Sie schüttelte den Kopf, wobei ein leichtes Lächeln ihre Lippen umspielte. Er glaubte fast zu sehen, wie ihre Muskeln sich entspannten. »Du hast erschütternd niedrige Maßstäbe. Soll ich das etwa anziehend finden?«
Er zwinkerte ihr lässig zu, als die Bedienung wieder erschien, um ihre Bestellung fürs Essen aufzunehmen. »Du hast mir gefallen, seit ich dich zum
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