Blutnetz
fest. Noch durchdringender als der Chlorgestank war der Geruch von versengtem Haar, und schließlich lockerte sich O'Shays Griff. Bell konnte aus der Umklammerung herausschlüpfen, wich einem wütenden Stoß mit dem Meißel aus und schlug wiederholt zu, während mehr Wasser durch die Luke hereinwogte.
Bell kämpfte sich in den Stand hoch, befreite sich mit heftigen Fußtritten aus O'Shays zupackenden Händen und kletterte durch die Luke hinaus. Er sah Lichter näher kommen. Boote legten von den Piers des Brooklyn Navy Yard ab und wurden von der New Hampshire zu Wasser gelassen. Das Unterseeboot sank mit immer noch arbeitender Maschine und rotierender Schraube, die gegen die Strömung ankämpfte. Eine Welle rollte über die Luke hinweg und spülte Bell zum Heck des U-Boots. Er stieß sich von der Schraubenverkleidung ab, entging um Haaresbreite den Propellerschaufeln und wurde vom Kielwasser weggerissen.
O'Shay kletterte aus dem Kommandoturm und würgte von dem Chlorgas. Er setzte hinter Bell her, sein Gesicht war eine hasserfüllte Fratze. »Ich werde Sie töten!«
Die Schraube des Holland sog ihn in ihre wirbelnden Schaufeln.
Die Flussströmung riss seinen Oberkörper an Bell vorbei. Der Kopf des Gangsters starrte den Detektiv noch wütend an, bis der Fluss ihn verschlang.
Das Holland-Unterseeboot rollte sich unvermittelt auf die Seite und sackte weg. Isaac Bell rechnete damit, der Nächste zu sein. Er kämpfte mit aller Kraft darum, an der Oberfläche zu bleiben, aber er war durch die Kälte geschwächt und von dem giftigen Gas völlig außer Atem. Eine Welle wälzte sich über ihn hinweg, und sein Geist füllte sich mit der Erinnerung an den Tag, als er Marion kennengelernt und der Boden unter seinen Füßen geschwankt hatte. Seine Augen gaukelten ihm etwas vor. Ihr kräftiges, glänzendes Haar türmte sich auf ihrem Kopf auf. Eine lange, schmale Strähne wallte fast bis zu ihrer Hüfte hinunter. Dabei sah sie zierlich und zugleich stark aus - wie eine Weide. Dann streckte sie ihm die Hände entgegen.
Und ergriff seine Hand. Er erwiderte den Griff und zog sich zur Wasseroberfläche hoch. Dann blickte er in das grinsende Gesicht eines bärtigen Seemanns.
Das Nächste, was Isaac Bell mitbekam, war, dass er ausgestreckt auf dem Boden eines Holzbootes lag. Neben sich spürte er Captain Lowell Falconer. Der Held von Santiago sah so ramponiert aus, wie Bell sich fühlte. Aber seine Augen strahlten.
»Sie sind bald wieder okay, Bell. Die bringen uns ins Lazarett.«
Alles Sprechen war mit Schmerzen verbunden, und das Atmen fiel schwer. Seine Kehle brannte. »Man sollte die Jungs vom Bergungskommando warnen, dass das Holland noch immer einen scharfen Wheeler-Mark-14-Torpedo im Rohr hat.«
»Dank Ihnen steckt er wirklich noch im Rohr.«
Das Boot prallte gegen den Kai.
»Was haben diese Lichter zu bedeuten?«, fragte Bell. Der Himmel war davon geradezu weiß.
»Auf Hull 44 werden Doppelschichten gefahren.«
»Gut.«
»Gut?«, wiederholte Lowell Falconer. »Ist das etwa das Einzige, das Sie zu Ihrer Rechtfertigung sagen können? Nicht mehr als ein ›Gut‹?«
Isaac Bell dachte angestrengt nach. Dann grinste er. »Was mit Ihrer Jacht passiert ist, tut mir leid.«
Im auswärtigen Dienst
Zehn Jahre später Nordsee, Deutsche Küste
Nebel raubte den deutschen Soldaten, die den amerikanischen Spion jagten, die Sicht.
Die Schwaden stiegen aus den Torfmooren Frieslands in die Morgenluft auf, sammelten sich unter den Baumwipfeln und bedeckten das ebene Gelände. Eigentlich, hieß es, sollte sich der Nebel halten, bis ihn die Sonne am späten Vormittag auflöste. Doch er zerfaserte schon früh, als ein salziger Wind von der Nordsee landeinwärts wehte. Isaac Bell gewahrte im Licht des jungen Tages Felder, die kreuz und quer von Gräben durchzogen wurden, Bäume, die den Verlauf von Feldzäunen markierten, und in der Ferne ein Bootshaus an einem Kanal. Ein Boot käme jetzt wie gerufen.
Auf einem Steckbrief, der mit Nägeln an der Wand des Bootshauses befestigt war, entdeckte Bell sein eigenes Gesicht.
Vor dem Militärgeheimdienst des Kaisers musste er anerkennend den Hut ziehen. Drei Tage nachdem er an Land gegangen war, hatte die deutsche Armee sein Bild an jeden Baum und jede Scheune zwischen Berlin und der Küste gekleistert. Eintausend Mark Belohnung, fünfeinhalbtausend Dollar, also auf beiden Seiten des Atlantiks ein Vermögen. Der Gesuchte auf dem Steckbrief hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm. Obgleich
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